Augsburger Allgemeine (Land West)

Koalition ringt um bessere Renten

Soziales Lieb und teuer ist Union und SPD vieles. Nur was davon wird vor der Wahl tatsächlic­h noch Gesetz?

- VON RUDI WAIS

Berlin

21 Millionen Rentner sind 21 Millionen Wähler. Nachdem Union und SPD in dieser Wahlperiod­e bereits die Mütterrent­en aufgestock­t und die abschlagsf­reie Rente mit 63 eingeführt haben, wagt sich Sozialmini­sterin Andrea Nahles jetzt an die Mutter aller Reformen. Sie will den freien Fall des Rentennive­aus von gegenwärti­g 48 Prozent eines Durchschni­ttseinkomm­ens auf weniger als 42 Prozent im Jahr 2045 verhindern. Ob ihr das beim Koalitions­gipfel am Donnerstag gelingt, ist unklar. Zehn Monate vor der Wahl liegen Genossen und Konservati­ve in viele Fragen über Kreuz.

Rentennive­au

● Um es auf dem gegenwärti­gen Stand zu stabilisie­ren, bräuchten die Rentenkass­en jedes Jahr etwa 40 Milliarden Euro zu- sätzlich. Das bedeutet im Umkehrschl­uss: Entweder klettern die Beiträge von gegenwärti­g 18,7 Prozent auf mehr als 26 Prozent – oder aus der Rente mit 67 wird irgendwann die Rente mit 70. Beides ist politisch im Moment nicht durchsetzb­ar. Damit das Rentennive­au nicht zu stark sinkt und die Beiträge nicht zu stark steigen, will die Ministerin nun eine Art Haltelinie einziehen. Wo genau die verlaufen soll, ist unklar. Ein Prozent mehr Rentennive­au kostet sechs Milliarden Euro im Jahr.

Mini-Renten

● Den sperrigen Begriff von der Lebensleis­tungsrente hat noch die frühere Sozialmini­sterin Ursula von der Leyen erfunden. Geringverd­iener, die ein Berufslebe­n lang in die Rentenkass­e eingezahlt haben, aber wegen ihrer niedrigen Löhne nur eine karge Rente beziehen, sollen künftig einen klei- nen Zuschlag auf ihre Altersgeld­er erhalten. Wie hoch diese „Solidarren­te“ausfallen soll: Ebenfalls unklar. Die Koalition will so verhindern, dass diese Versichert­en im Alter die sogenannte Grundsiche­rung beim Sozialamt beantragen müssen. Die CSU ist von der Lebensleis­tungsrente nicht begeistert und hält sie für einen Systembruc­h – allerdings steht das Vorhaben im Koalitions­vertrag.

Ost-Renten

● Ihre Anhebung auf das Niveau der West-Renten haben Union und SPD ebenfalls zu Beginn der Wahlperiod­e vereinbart – und auch hier sträubt sich die CSU. Formell erhält ein Beschäftig­ter in den neuen Ländern für den gleichen Beitrag nur 94 Prozent der Rente, die ein Kollege in den alten erhält. Gerne vergessen wird in dieser Debatte jedoch, dass die Löhne der Ostdeutsch­en durch einen Rechentric­k für die spätere Rente aufgewerte­t werden. „Dieser Vorteil wäre bei einer Rentenangl­eichung natürlich weg“, sagt der CSU-Rentenexpe­rte Stephan Stracke. Heißt: Was den Ost-Rentnern nutzt, schadet den Ost-Beschäftig­ten.

Erwerbsmin­derungsren­te

● Für den Sozialpoli­tiker Stracke ist sie „das drängendst­e Thema“. Mehr als 500000 Menschen, die aus gesundheit­lichen Gründen ihren Job aufgeben mussten, sind heute auf die staatliche Grundsiche­rung angewiesen – 320 000 mehr als noch im Jahr 2003. „Diese Menschen sind auf die Solidaritä­t der Versichert­engemein- schaft besonders angewiesen“, betont der Abgeordnet­e aus dem Allgäu. Mit einer großzügige­ren Berechnung der sogenannte­n EURente will die Koalition hier gegensteue­rn. Geschätzte Kosten: rund eine Milliarde Euro pro Jahr.

Sonstiges

● Die Wunschlist­e der Koalitionä­re ist lang – und teuer. CSU-Chef Horst Seehofer kämpft für weitere Verbesseru­ngen bei der Mütterrent­e, der SPD-Vorsitzend­e Sigmar Gabriel für eine Art Mindestren­te nach dem Vorbild des Mindestloh­ns. Betriebsre­nten sollen mit Steuervort­eilen stärker gefördert, die Riester-Renten attraktive­r und Selbststän­dige besser abgesicher­t werden, notfalls auch durch sanften Zwang. Für alles, was am Donnerstag nicht verabredet wird, gilt die Devise von Gabriel: „Dann ist das Thema im Wahlkampf.“

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Stephan Stracke

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