Augsburger Allgemeine (Land West)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (46)
Wer als Renaissance Kardinal ein laster und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro
Ich muß ihm jetzt einfach beweisen, daß ich nicht besessen bin, damit er endlich aufhört mich zu quälen.“
„Aber sag mal ehrlich, spürst du ihn in dir, diesen Teufel? Spürst du irgendeine Bewegung in deinem Bauch? Angeblich spüren die Besessenen etwas, das sich in ihrem Bauch bewegt, so als hätten sie eine lebendige Kröte verschluckt.“
Der Diakon hatte einen unbezwingbaren Ekel vor Kröten. Er verzog angewidert das Gesicht.
„Ich weiß es nicht, ich versteh nichts davon, aber diese lebendige Kröte spüre ich Gott sei Dank nicht in mir. Nur den Niesreiz vor den Kirchen und das krampfhafte Husten, wenn ich sie betrete und in die Nähe des Altars gehe, sonst nichts. Und da ist mir eingefallen, daß du ja diesen Codronchi kennst, den Leibarzt und Spezialisten für die Besessenen. Der könnte mir vielleicht sagen, ob ich den Teufel im Leib hab’ oder nicht, und ich könnte ein Attest von ihm bekommen. Ich weiß, daß er eigens nach Rom gerufen wurde, um das Kardinalskollegium zu beraten, wenn es dort schwierige Fälle gab.“
„Codronchi, Giovanni Battista, und ob ich den kenne. Der die Flöhe quält, bevor er sie zerdrückt, ein komischer Kerl und ein Dreckfink. Aber ich hab ihn seit Jahren nicht gesehen.“
„Ich brauche ihn sofort. Bei deinem umtriebigen Leben, immer auf Trab zwischen einem Ufer und dem andern, da mußt du doch jemand kennen, der dir sagen kann, wo er ist.“
Die Schwester sah ihn mit einer Spur von Unwillen an.
„Ich führe das Leben, das mir möglich ist, ich arrangiere mich und ich schlage mich durch.“
„Ich wollte dich nicht kränken. Ich muß nur wissen, ob ich besessen bin oder nicht.“
„Das hätte ich jedenfalls nicht erwartet, einen Bruder, noch dazu einen Diakon, der sich den Teufel in den Leib geholt hat.“
„Es wäre nicht das erste Mal, daß der Teufel einen Klosterbruder als Geisel nimmt. Aber ich hoffe noch immer, daß es nicht wahr ist. Andernfalls muß ich mich hinter dem Rücken des Kardinals exorzieren lassen.“
Fiorenza, noch immer verstört, murmelte weiter vor sich hin.
„Das hat noch gefehlt, ein Bruder, der den Teufel im Leib hat. Eine schöne Bescherung.“„Ich habe diese schöne Bescherung bekommen, nicht etwa du.
Ich brauche jetzt diesen Codronchi, der mich untersuchen und mir sagen muß, ob ich wirklich einen Teufel im Bauch hab’.“
„Hast du das auch gehört, daß er im Bauch sitzt?“
„Natürlich, es scheint, daß die Teufel sich von hinten heranschleichen und in den Darm schlüpfen.“„Wie eklig.“„Es scheint, daß sie hinten hereinkommen und hinten wieder hinausfahren, das sagt der Prior meines Klosters. Ich hab auch schon versucht, ihn mit Fenchelsamen zu vertreiben.“
Fiorenza riß die Augen auf vor Staunen.
„Du hast versucht, den Teufel mit Fenchelsamen zu vertreiben? Was ist das – Hexerei?“„Nein nein, es gibt ein altes Buch der Medizin, das Regimen Sanitatis aus der Salernitanischen Schule, wo es heißt: ,Semen foeniculi fugat spiracula culi‘. Das bedeutet, daß die Fenchelsamen Luft aus dem Hintern jagen, und zusammen mit dieser Luft, habe ich mir gedacht, womöglich auch den Teufel.“
„Wie sagst du, heißt das auf Latein?“
„,Semen foeniculi fugat spiracula culi.‘ Im Kloster ließen sie uns dieses ganze Büchlein auswendig lernen. Aber warum fragst du danach?“
„Entschuldige mal, aber dieses Latein, das ist von einem Klosterbruder geschrieben, der HinternGedanken hatte: foeniculo, spiracolo, Culo, culo. Der hatte Türkereien und Arschfickereien im Kopf.“
„Du bist ja ganz vernagelt mit diesem Geschwuchtel. Das ist ein Medizinbuch, sogar ein berühmtes. Die Hintern-Gedanken hast du da reingeheimnist und der Teufel ist zusammen mit dem Fenchelsamen weggegangen?“
„Wie soll ich das wissen? Wer weiß, ob in der von den Fenchelsamen erzeugten Luft auch der Teufel drin war. Deshalb möchte ich ja zum Codronchi gehen.“
„Es scheint, daß auch dieser Deutsche, der Luther, der sich mit der Kirche von Rom anlegt, den Teufel mit Fürzen wegjagt, aber auch die sind irgendeinem Papst zu- folge Todsünden. Was war das für ein Papst, der die Fürze exkommuniziert hat, erinnerst du dich?“Der Diakon lächelte ein wenig. „Es heißt, daß es Gregor VII. gewesen sei. Aber wer erzählt dir solche Kindereien?“
„Wir haben da eine Freundin vom Ortaccio, die sich manchmal Bücher von einem Arzt im HeiligenGeist-Spital ausleiht, und dann erzählt sie uns diese Geschichten. So vertreiben wir uns die Zeit, wenn es nichts zu tun gibt.“
„Im Heiligen-Geist-Spital sind die Pestkranken untergebracht. Bleib da weg, hast du gehört?“
Der Diakon sah seine Schwester zärtlich an. „Und wie geht’s dir so?“„Ich mühe mich ab, nicht zu hungern. Aber es gibt wenig Arbeit, die Leute sind unzufrieden und überall stänkern sie wegen diesem ausländischen Papst. Dann sind jetzt auch die spanischen und maurischen Huren gekommen, die uns die Kunden wegschnappen. Der Papst ist noch unterwegs, aber sie kommen wie die Heuschrecken schon zu Hunderten geflogen, weil sie denken, daß mit dem Papst auch viele Handelsleute und eine Menge liederliches Priestervolk kommen wird. Und so ist Rom ein einziges Bordell geworden.“
„Du kannst immer noch den Be- ruf wechseln“, sagte der Diakon schüchtern.
„Das ist doch das einzige, was ich kann. Es ist ein anstrengender Beruf, aber wie bei allen Frauen, die man mit Ziegenmilch aufgezogen hat, ist mein Schicksal besiegelt, und ich kann nichts anderes sein als eine Dirne. Das ist mein Beruf und meine Berufung, genauso wie es deine Berufung ist, ein Mönch zu sein.“
„Berufung? Wenn ich könnte, würde ich den Beruf sofort wechseln, Ehrenwort.“„Was erzählst du da?“„Nichts. Das war nur so eine Anwandlung, das geht vorbei.“
Fiorenza schwieg eine Weile, dann sah sie ihren Bruder mit seltsamer Intensität an. Endlich sprach sie mit leiser Stimme, noch unsicher, aber bemüht, ihren Worten einen natürlichen und glaubhaften Ton zu verleihen.
„Ich möchte dir gern vorschlagen, dich zu mir in mein Bett zu legen, ich könnte dich dann ein bißchen trösten, aber zwischen Bruder und Schwester tut man das wohl nicht.“
Der Diakon merkte, daß seine Schwester es ernst meinte, und sah sie überrascht und verlegen an. Der Vorschlag schien ihm völlig verrückt, und die Aufforderung brachte ihn sofort in Schwierigkeiten.