Augsburger Allgemeine (Land West)
Zweijähriger Bub erlebte die Folter mit
Polizei Ein Autofahrer schleift sein Opfer an einem Seil durch Hameln. Es ist die Frau, die er einmal liebte. Ihr Sohn ist die ganze Zeit dabei – und wird das Trauma wohl nie überwinden
Hameln
Eine Frau erleidet unsägliche Qualen. Es ist ihr früherer Lebensgefährte, der sie foltert. Und das Kind der beiden muss alles mit ansehen. Mit dieser erschütternden neuen Erkenntnis ist die Polizei im niedersächsischen Hameln gestern an die Öffentlichkeit gegangen. „Der Junge hat während der Fahrt mit im Auto gesessen“, sagte Polizeisprecher Jens Petersen. Der Zweijährige befinde sich jetzt in der Obhut des Jugendamtes.
Den bisherigen Ermittlungen zufolge hat der 38-jährige mutmaßliche Täter zunächst zweimal auf die Frau eingestochen. Dann band er ihr ein Seil um den Hals, knotete den Strick an die Anhängerkupplung seines Autos und schleifte die 28-Jährige bei hohem Tempo 250 Meter weit durch die Innenstadt von Hameln. In einer Kurve löste sich das Seil, die Frau wurde auf den Gehweg geschleudert. Sie erlitt schwerste Verletzungen am ganzen Körper und am Kopf und musste notoperiert werden. Der 38-Jährige hatte sich direkt nach der Tat der Polizei gestellt. Das Opfer, wie ihr Ex-Freund eine Deutsche kurdischer Abstammung, schwebt weiter in Lebensgefahr.
Als mögliches Motiv nannten die Ermittler gestern einen Sorgerechtsstreit. „Wir gehen Hinweisen nach, dass die früheren Lebensgefährten um den gemeinsamen Sohn gestritten haben“, sagte der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Nach dem derzeitigen Er- mittlungsstand soll sich die Frau vor einiger Zeit von ihrem Partner getrennt haben, weil es immer wieder Auseinandersetzungen gegeben hatte. Sie zog anschließend mit dem kleinen Sohn nach Hameln. Vor dem Verbrechen am Sonntag war das kleine Kind demnach bei seinem Vater in Bad Münder nahe Hameln zu Besuch gewesen. Was der Zweijährige vom Geschehen mitbekom- men hat, ist nach Angaben der Ermittler unklar.
Dennoch dürfte das Kind für den Rest seines Lebens von dem Verbrechen begleitet werden. Psychotherapeutin Andrea Kerres, die an der Katholischen Stiftungshochschule München den Studiengang Pflegepädagogik betreut und in Schmiechen (Kreis Aichach-Friedberg) eine Praxis für Traumatherapie be- treibt, erklärt gegenüber unserer Zeitung: „Unabhängig davon, ob das Kind etwas gesehen hat, hat es in jedem Fall die Spannungen im Auto gespürt. Für den Vater war die Tat eine Stresssituation. So etwas merkt ein Kind – wenn es die Geschehnisse auch nicht bewusst einordnen kann.“Wie der Bub die Erfahrung verkraftet, wird Kerres zufolge zunächst einmal davon abhängen, welche emotionalen Bindungen er jetzt erfährt und wie gut er auf seinem weiteren Lebensweg begleitet wird – etwa in einer Pflegefamilie und durch Therapeuten. Es bestehe zum Beispiel „die Gefahr, dass die Erinnerungen immer wieder unkontrolliert hochkommen, wann immer das Kind in eine Stresssituation gerät“. Komplett überwinden, sagt Kerres, könne man so ein Trauma nie. „Aber man kann lernen, damit umzugehen.“
Auch die beteiligten Ermittler werden viel damit zu tun haben, die Tat zu verarbeiten. Ein Verbrechen, bei dem jemand einen anderen Menschen „dermaßen brutal“behandelt habe, sei ihm in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit vorher nicht bekannt geworden, betonte etwa Oberstaatsanwalt Klinge. Für die „schreckliche Tat“gebe es zudem Augenzeugen. Das Opfer habe so laut geschrien, dass mehrere Menschen ans Fenster geeilt seien. Es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, „dass Leute der Frau hätten helfen können, ohne sich selbst zu gefährden“.