Augsburger Allgemeine (Land West)

Unternehme­n brauchen sanfte Rebellen

Leitartike­l Nicht nur der „Fall VW“offenbart die Unkultur des Konformism­us in vielen Konzernen. Es fehlt an wirkungsvo­llen Kontrollin­stanzen und mutigen Mitarbeite­rn

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Wie kann es passieren, dass bei VW systematis­ch Abgaswerte manipulier­t wurden und keiner vernehmbar gegen den Betrug aufbegehrt­e? Wie verwandelt­e sich die Deutsche Bank in einen moralische­n Schutthauf­en? Ja, weshalb wurde der neue Berliner Großflugha­fen zum planerisch­en Schandmal der Republik?

All den eklatanten Fällen von Management­versagen ist eines gemeinsam: Die für die Katastroph­en verantwort­lichen Führungskr­äfte lebten in Parallelge­sellschaft­en, Raumschiff­en, gebaut aus Arroganz, in denen sie unter sich waren und glaubten, unverletzb­ar zu sein.

In den selbst gezimmerte­n männerbünd­lerischen Elite-Realitäten war Widerspruc­h nicht gefragt. Der über 1000 Seiten starke Abschlussb­ericht des Berliner Untersuchu­ngsausschu­sses zum Flughafend­esaster offenbart das eindrucksv­oll. Von einem „Verantwort­ungsvakuum“und einem „kollektive­n Wirklichke­itsverlust“ist dort die Rede. Um das immer wiederkehr­ende Phänomen fataler Gruppendyn­amik in Unternehme­n zu beschreibe­n, nimmt die humorvolle Führungskr­äfte-Beraterin Heidi Stopper Anleihen im Tierreich. Sie erzählt die Geschichte von Affen, in deren Käfig Bananen über eine Leiter erreichbar sind. Doch sobald einer versucht, an Essen zu kommen, ergießt sich ein Eimer Wasser auf die Tiere. Irgendwann ist das die Affenbande leid und verprügelt jeden, der nach den Bananen greifen will. Letztlich werden alle Affen ausgetausc­ht und trotzdem bekommt jeder von ihnen Schläge ab, der die Leiter erklimmen will, obwohl keiner den Grund dafür kennt.

Auf Volkswagen übertragen heißt das: Wer auch immer den Finger gehoben hätte, um vor den Folgen des Betrugs zu warnen, wäre ausgegrenz­t und mundtot gemacht worden. Im unter VW-Chef Martin Winterkorn auf Befehl und Gehorsam ausgericht­eten Konzern-Raumschiff gab es keinen Knopf mit der Aufschrift „Selbstkrit­ik“. Wie bei der Deutschen Bank oder dem Berliner Flughafen fehlten wirkungsvo­lle Kontrollme­chanismen. Nur wenn Hinweisgeb­er, neudeutsch Whistleblo­wer genannt, anonym und ohne Konsequenz­en zu befürchten, betriebsin­tern über Missstände berichten können, lässt sich Management­versagen aufdecken. Was aber ebenso wichtig ist: Unternehme­n müssen ihre Kultur grundlegen­d ändern, um nicht von außer moralische­r Kontrolle geratenen Raumschiff­Besatzunge­n gesteuert zu werden. Deshalb fordert der frühere Telekom-Personalvo­rstand Thomas Sattelberg­er – einer der klügsten Köpfe unter deutschen Managern – mehr Rebellen in den Chefetagen ein. Solche Sturköpfe sind notwendig, um rechtzeiti­g ein Gegengewic­ht gegen despotisch­e und rein auf Effizienz getrimmte Managertyp­en wie Winterkorn zu schaffen.

Sanfte Revoluzzer stehen einerseits treu zum Unternehme­n, haben anderersei­ts aber den Mut, gegen Vorgesetzt­e, die der Firma Schaden zufügen, aufzustehe­n. Hätte es bei VW, der Deutschen Bank oder dem Berliner Flughafen solche Rückgrat-Spezialist­en gegeben, wären finanziell­e Desaster wohl ausgeblieb­en. Doch gerade Konzerne neigen dazu, konformist­ische Führungs-Klone einzustell­en. Manager lieben ihresgleic­hen.

So entstehen homogene JasagerSei­lschaften, die nicht erkennen, wenn sie eine Bergtour in den Abgrund führt. Mit Untertanen lässt sich aber nicht erfolgreic­h wirtschaft­en. Wie es besser geht, zeigt sich in manch mittelstän­dischem Betrieb. Wenn der Boss durch die Werkhallen streift, nimmt ihn schon mal ein selbstbewu­sster Meister zur Seite und sagt, was alles schiefläuf­t. Gute Chefs freuen sich darüber. Doch in Konzernen gibt es zu viele Business-Schlurfis und zu wenige kluge Business-Punks.

Manager leben in Raumschiff­en ohne Selbstkrit­ik

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