Augsburger Allgemeine (Land West)
Unternehmen brauchen sanfte Rebellen
Leitartikel Nicht nur der „Fall VW“offenbart die Unkultur des Konformismus in vielen Konzernen. Es fehlt an wirkungsvollen Kontrollinstanzen und mutigen Mitarbeitern
Wie kann es passieren, dass bei VW systematisch Abgaswerte manipuliert wurden und keiner vernehmbar gegen den Betrug aufbegehrte? Wie verwandelte sich die Deutsche Bank in einen moralischen Schutthaufen? Ja, weshalb wurde der neue Berliner Großflughafen zum planerischen Schandmal der Republik?
All den eklatanten Fällen von Managementversagen ist eines gemeinsam: Die für die Katastrophen verantwortlichen Führungskräfte lebten in Parallelgesellschaften, Raumschiffen, gebaut aus Arroganz, in denen sie unter sich waren und glaubten, unverletzbar zu sein.
In den selbst gezimmerten männerbündlerischen Elite-Realitäten war Widerspruch nicht gefragt. Der über 1000 Seiten starke Abschlussbericht des Berliner Untersuchungsausschusses zum Flughafendesaster offenbart das eindrucksvoll. Von einem „Verantwortungsvakuum“und einem „kollektiven Wirklichkeitsverlust“ist dort die Rede. Um das immer wiederkehrende Phänomen fataler Gruppendynamik in Unternehmen zu beschreiben, nimmt die humorvolle Führungskräfte-Beraterin Heidi Stopper Anleihen im Tierreich. Sie erzählt die Geschichte von Affen, in deren Käfig Bananen über eine Leiter erreichbar sind. Doch sobald einer versucht, an Essen zu kommen, ergießt sich ein Eimer Wasser auf die Tiere. Irgendwann ist das die Affenbande leid und verprügelt jeden, der nach den Bananen greifen will. Letztlich werden alle Affen ausgetauscht und trotzdem bekommt jeder von ihnen Schläge ab, der die Leiter erklimmen will, obwohl keiner den Grund dafür kennt.
Auf Volkswagen übertragen heißt das: Wer auch immer den Finger gehoben hätte, um vor den Folgen des Betrugs zu warnen, wäre ausgegrenzt und mundtot gemacht worden. Im unter VW-Chef Martin Winterkorn auf Befehl und Gehorsam ausgerichteten Konzern-Raumschiff gab es keinen Knopf mit der Aufschrift „Selbstkritik“. Wie bei der Deutschen Bank oder dem Berliner Flughafen fehlten wirkungsvolle Kontrollmechanismen. Nur wenn Hinweisgeber, neudeutsch Whistleblower genannt, anonym und ohne Konsequenzen zu befürchten, betriebsintern über Missstände berichten können, lässt sich Managementversagen aufdecken. Was aber ebenso wichtig ist: Unternehmen müssen ihre Kultur grundlegend ändern, um nicht von außer moralischer Kontrolle geratenen RaumschiffBesatzungen gesteuert zu werden. Deshalb fordert der frühere Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger – einer der klügsten Köpfe unter deutschen Managern – mehr Rebellen in den Chefetagen ein. Solche Sturköpfe sind notwendig, um rechtzeitig ein Gegengewicht gegen despotische und rein auf Effizienz getrimmte Managertypen wie Winterkorn zu schaffen.
Sanfte Revoluzzer stehen einerseits treu zum Unternehmen, haben andererseits aber den Mut, gegen Vorgesetzte, die der Firma Schaden zufügen, aufzustehen. Hätte es bei VW, der Deutschen Bank oder dem Berliner Flughafen solche Rückgrat-Spezialisten gegeben, wären finanzielle Desaster wohl ausgeblieben. Doch gerade Konzerne neigen dazu, konformistische Führungs-Klone einzustellen. Manager lieben ihresgleichen.
So entstehen homogene JasagerSeilschaften, die nicht erkennen, wenn sie eine Bergtour in den Abgrund führt. Mit Untertanen lässt sich aber nicht erfolgreich wirtschaften. Wie es besser geht, zeigt sich in manch mittelständischem Betrieb. Wenn der Boss durch die Werkhallen streift, nimmt ihn schon mal ein selbstbewusster Meister zur Seite und sagt, was alles schiefläuft. Gute Chefs freuen sich darüber. Doch in Konzernen gibt es zu viele Business-Schlurfis und zu wenige kluge Business-Punks.
Manager leben in Raumschiffen ohne Selbstkritik