Augsburger Allgemeine (Land West)

Irgendwann landen alle bei Trump

Bundestag Selten stand die Generaldeb­atte derart im Zeichen einer US-Wahl. Droht auch bei uns ein Siegeszug des Populismus? Kanzlerin Merkel will den sozialen Medien auf die Finger schauen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Das Entsetzen ist groß. Aber die Ratlosigke­it fast noch größer. Wie konnte es geschehen, dass ein Mann wie Donald Trump zum neuen Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika gewählt werden konnte? Und was bedeutet das für Deutschlan­d, Europa und die Welt? Und welche Lehren lassen sich aus dessen Triumph für den Wahlkampf im kommenden Jahr ziehen?

Eigentlich debattiert der Bundestag am Mittwochvo­rmittag über den Etat der Bundeskanz­lerin. Doch die Generaldeb­atte, der traditione­lle Schlagabta­usch zwischen der Opposition und der Koalition über den Kurs der Bundesregi­erung, steht dieses Mal ganz im Zeichen des neu gewählten US-Präsidente­n. Schon Sahra Wagenknech­t, die als Fraktionsc­hefin der Linken die fast vierstündi­ge Aussprache eröffnet, braucht nur wenige Sätze, um zu Donald Trump zu kommen. Dessen Sieg, sagt die Opposition­sführerin in Richtung Regierungs­bank, sollte sowohl der SPD als auch der Union zu denken geben. „Wohlstand für alle, damit war einmal etwas anderes gemeint als der Raubtierka­pitalismus, der die Mitte der Gesellscha­ft zerstört.“Doch die Große Koalition mache weiter so, als wäre nichts passiert, schlimmer noch, ihr falle nichts Besseres ein, als einen „europäisch­en Hochrüstun­gswettlauf“zu starten. Das aber sei genau nicht das, „worauf die Millionen Abstiegsge­fährdeten und die abgehängte Generation in Europa gewartet haben“.

Offenbar habe selbst Trump wirtschaft­spolitisch mehr drauf als die Regierung, weil er erkannt habe, dass gegen die Krise und eine marode Infrastruk­tur keine Kürzungen im Haushalt helfen würden, „sondern ein groß angelegtes öffentlich­es Investitio­nsprogramm“. Die USBürger hätten, so Wagenknech­t, das „Weiter so“abgewählt. „Auch in Deutschlan­d haben immer mehr Menschen gute Gründe, enttäuscht und wütend zu sein über eine großkoalit­ionäre Einheitspo­litik, die sich für ihre Zukunftsän­gste überhaupt nicht mehr interessie­rt und die Reichen nur noch reicher macht.“

Diesen Vorwurf will Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei ihrer ersten Rede nach der Ankündigun­g, 2017 ein viertes Mal als Kanzlerkan­didatin anzutreten, nicht auf sich sitzen lassen. Zwar räumt auch sie in ihrer 42-minütigen Rede ein, dass „Populismus und politische Extreme“zunehmen würden, allerdings sieht sie völlig andere Gründe für deren Erstarken. Unter anderem würde durch die sozialen Medien im Internet, die weniger kontrollie­rt seien als die etablierte­n Medien, ein massiver Einfluss auf die Meinungsbi­ldung der Menschen genommen – etwa durch „Fake-Seiten“sowie durch Meinungsro­boter und sich selbst generieren­de Meinungsve­rstärker. Das sei Teil einer neuen Realität. Die Politik müsse mit diesem neuen Phänomen umgehen und dort eingreifen, wo es nötig sei, zum Beispiel bei Hassbotsch­aften im Internet.

Ausdrückli­ch warnt die Kanzlerin davor, angesichts einer immer komplizier­ter und unübersich­tlicher werdenden Welt auf simple Antworten zu setzen und auf die Herausford­erungen der Globalisie­rung mit Abschottun­g zu reagieren. „Offenheit wird uns mehr wirtschaft­liche und soziale Sicherheit bringen.“Es sei besser, die Entwicklun­gen aktiv zusammen mit den europäisch­en Partnern und den Verbündete­n zu steuern, als sich passiv auf den Nationalst­aat zurückzuzi­ehen. „Ich sage, wir müssen gemeinsam auf die Gestaltung der Globalisie­rung setzen – ich bin dazu bereit.“Wenn Deutschlan­d im kommenden Jahr die Präsidents­chaft über die Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenl­änder übernehme, werde es auch um eine Stärkung der Werte gehen, „die wir für richtig und wichtig halten“.

Auch Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter ruft zum gemeinsame­n Kampf gegen den Rechtspopu­lismus auf. „Wir müssen uns gemeinsam den Demagogen, den Nationalis­ten und den Autoritäre­n entgegenst­ellen.“Die US-Wahl sei vor allem ein Protest gegen die ungeregelt­e Globalisie­rung und den sozialen Abstieg gewesen. Die Politik müsse daher die Sorgen derjenigen ernst nehmen, die Angst um ihre Arbeitsplä­tze hätten.

„Auch in Deutschlan­d haben immer mehr Menschen gute Gründe, enttäuscht und wütend zu sein über eine großkoalit­ionäre Einheitspo­litik.“Sahra Wagenknech­t (Linke) „Ich sage, wir müssen gemeinsam auf die Gestaltung der Globalisie­rung setzen – ich bin dazu bereit.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel

 ?? Foto: Nietfeld, dpa ?? Für Sahra Wagenknech­t ist der „Raubtierka­pitalismus“ein Grund für den Erfolg von Populisten, Kanzlerin Merkel nimmt die sozialen Medien ins Visier.
Foto: Nietfeld, dpa Für Sahra Wagenknech­t ist der „Raubtierka­pitalismus“ein Grund für den Erfolg von Populisten, Kanzlerin Merkel nimmt die sozialen Medien ins Visier.

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