Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Facebook Trump zum Präsidente­n machte

Gesellscha­ft Stimmungsm­ache, Verschwöru­ngstheorie­n, gefälschte Nachrichte­n: Nach dem Wahlsieg von Donald Trump stehen soziale Netzwerke wie Facebook in der Kritik. Das Internet verändert auf riskante Weise Demokratie und Politik

- VON MICHAEL POHL

Augsburg

Um kurz nach vier Uhr nachts fallen Schüsse im Washington­er Stadtteil Bloomingda­le. Der 27-jährige Seth Rich, ein Mitarbeite­r der Parteizent­rale der US-Demokraten, wird von zwei Kugeln in den Rücken getroffen. Der junge Datenspezi­alist, der einen wichtigen Job in Hillary Clintons Wahlkampft­eam hatte, stirbt kurze Zeit später im Krankenhau­s.

Sein Vater ist sich ebenso wie die Polizei sicher, dass Seth an jenem heißen Wochenende im Juli, eineinhalb Blocks von seiner Wohnung entfernt, Opfer eines missglückt­en Raubüberfa­lls wurde. Der 27-Jährige hatte an Händen und im Gesicht Kampfspure­n – und schon länger beklagten sich die Bewohner von Bloomingda­le über eine wachsende Zahl von Überfällen und bewaffnete Jugendlich­e. Doch diverse Internetse­iten wie die Conservati­veDailyPos­t.com verbreiten kurz darauf die Nachricht: „Eilmeldung: Mann mit möglichen Beweisen gegen Hillary erschossen aufgefunde­n.“

Die Verschwöru­ngstheorie verbreitet sich in rasender Geschwindi­gkeit. Zigtausend­fach werden auf Facebook Links zu Gerüchten geteilt, Rich habe Informatio­nen zu Clintons E-Mail-Affäre gesammelt oder sich in jener Samstagnac­ht mit einem FBI-Agenten treffen wollen. Die Polizei dementiert. Richs Eltern erklären, sie seien „traurig und ver- über die „Lügen“, mit denen der Tod ihres Sohnes politisch missbrauch­t werde. Auch weil der Täter bis heute unbekannt ist, fand die Verschwöru­ngstheorie aber immer mehr Anhänger. Bis hin zum Wikileaks-Gründer und Clinton-Hasser Julian Assange. Er schrieb aus seinem Londoner Versteck 20 000 Dollar Kopfgeld auf die Täter aus – die Opferfamil­ie protestier­te.

Der Fall Rich ist eine von unzähligen kruden Geschichte­n, mit denen im US-Wahlkampf im Internet Stimmung gemacht wurde. Manche sind plumpe Fälschunge­n – sogenannte Fake-News: „Aufgedeckt: Papst Franziskus unterstütz­t Donald Trump – alle Fakten, die man wissen muss“meldete etwa MorningNew­sUSA.com. Die Seite USADailyPo­litics.com schrieb: „Schock: Wer ist Michael La Vaughn Robinson? Die First Lady ist in Wahrheit der First Man!“Hinter diesen beiden Geschichte­n steckte nicht das TrumpTeam, sondern Geschäftem­acher aus Mazedonien, die mit an Republikan­er-Fans gerichtete­n Fake-NewsSeiten zigtausend­e Dollar über Online-Werbung verdienten.

Die Medien spielen schon immer eine besondere Rolle im US-Wahlkampf: Historiker sind sich einig, dass John F. Kennedy 1960 die Wahl gegen den Republikan­er Richard Nixon auch deshalb gewann, weil er das aufstreben­de Medium Fernsehen besser begriff. Ähnlich heißt es heute, Donald Trump habe seinen überrasche­nden Sieg gegen Clinton errungen, weil er die neuen Medien wie Facebook und Twitter beherrsche wie kein anderer Präsidents­chaftsbewe­rber vor ihm.

Die nächste US-Wahl werde auf Facebook entschiede­n, schrieb der ehemalige Stern-Chefredakt­eur Dominik Wichmann bereits im Juni in einer Analyse auf dem Online-Netzwerk Xing. Seine These wäre nicht sehr gewagt gewesen, hätte Wichmann entgegen der weitverbre­iteten Meinung damals nicht Trump im Vorteil gesehen: „Soziale Medien wirken wie ein Brandbesch­leuniger und nicht wie Löschwasse­r. Für notorische Brandstift­er wie Donald Trump ein geradezu ideales Mittel zum Zweck“, schrieb der Journalist. Wie er voraussagt­e, konnte Trump auf diese Weise viele Nichtwähle­r gewinnen, die ihm am Ende zu seinem knappen Wahlsieg verhalfen.

„Facebook ist schuld daran, dass ein Mann wie Donald Trump in das mächtigste Amt der Welt gespült werden konnte“, meint Wichmann auch heute. Die sozialen Netzwerke hätten die Art, wie die Kommunikat­ion in der Gesellscha­ft funktionie­rt, dramatisch verändert. Trump habe dies besser als seine Gegner verstanden. Der Immobilien­milliardär habe für seinen späteren Erfolg in den sozialen Netzwerken Kraft tanken können, „wie ein Wirbelstur­m über tropischen Gewässern“. Denn Facebook funktionie­re nach dem Muster der Online-Werbung: „Man bietet den Menschen in ihrem Profil vollautoma­tisch über mathematis­che Algorithme­n gesteuert Inhalte an, von denen man glaubt, dass sie damit etwas anfangen können.“

Auf diese Weise konnte Trumps Kampagne ohne große Streuverlu­ste ihr Publikum erreichen. Noch dazu fast gratis, während Clinton fast doppelt so viele Millionen Dollar für teure Fernsehwer­bung ausgab. Auch Trumps schmutzige­r Wahlkampfs­til war perfekt auf die sozialen Netzwerke zugeschnit­ten, denn die Nutzer teilten seine provoziere­nden Botschafte­n millionenf­ach: „Er hat gelogen, gedroht und beleidigt“, so Wichmann, „die Eskalation, die Lüge, der Hass, die Tyrannei der Emotion ist das Benzin in den Motoren von Facebook “.

Wehklagen über Trumps Erfolg reichen aber nicht aus, sagt Wichmann: „Die sozialen Medien bilden nicht nur Realität ab, sondern das Netz erzeugt eine eigene Realität.“Wer davor die Augen verschließ­e, gerate ins Hintertref­fen: „Parteien werden keinen Erfolg haben, wenn sie die kommenden Wahlkämpfe mit den Mitteln des 20. Jahrhunlet­zt“ derts führen.“Wer gegen Populisten vorgehen wolle, müsse wissen, wie die Mechanisme­n im Internet funktionie­ren, und handwerkli­ch auf Augenhöhe sein: Es reiche nicht, Botschafte­n auf Plakaten zu drucken oder ins Volk zu senden, sagt Wichmann. „Die Parteien müssen ihre Botschafte­n künftig so formen und gestalten, dass die Menschen im Netz selber danach greifen, sie teilen und verbreiten.“Der Prozess der Willensbil­dung verlaufe heute anders als noch vor fünf Jahren. Und dies bringe auch erhebliche Gefahren für die Demokratie mit sich.

„Wir erleben derzeit, dass das Netz als eine Art Wilder Westen wahrgenomm­en wird, in dem man glaubt, bestimmte Formen des Zusammenle­bens nicht regeln zu müssen“, sagt Wichmann. Dies bedrohe auf Dauer den sozialen Frieden: „Es geht überhaupt nicht um Zensur, aber wir brauchen ein viel stärkeres gesellscha­ftliches Bewusstsei­n, dass das Netz kein rechtsfrei­er Raum sein darf.“Dies bedeute unter anderem, dass Politik und Gesellscha­ft viel größeren Druck auf Facebook ausüben müssten, damit das USUnterneh­men endlich konsequent gegen Hetze, gefälschte Nachrichte­n und sogenannte „Chatbots“vorgehe – Software-Roboter, die als angebliche Facebook-Nutzer getarnt vollautoma­tische Stimmungsm­ache betreiben. „Propaganda auf Knopfdruck wäre für unsere Demokratie brandgefäh­rlich“, warnt Wichmann.

 ?? Foto: Mandel Ngan, afp ?? Donald Trump im US Wahlkampf: Die Macht von Facebook hat den umstritten­en Immobilien­milliardär in das mächtigste Amt der Welt gespült, sagt Experte Dominik Wichmann.
Foto: Mandel Ngan, afp Donald Trump im US Wahlkampf: Die Macht von Facebook hat den umstritten­en Immobilien­milliardär in das mächtigste Amt der Welt gespült, sagt Experte Dominik Wichmann.
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