Augsburger Allgemeine (Land West)

Alle gegen Renzi

Italien Die Gegner des italienisc­hen Premiers hoffen auf dessen Misserfolg beim Verfassung­sreferendu­m. Das könnte europaweit erhebliche Folgen haben

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom

Der Ton ist rauer geworden vor der Abstimmung über die Verfassung­sreform in Italien am 4. Dezember. Beppe Grillo, Komiker und unbestritt­ener Chef der eigentlich basisdemok­ratischen 5-Sterne-Bewegung, holte zuletzt sogar zu einem derben Vergleich ins Tierreich aus. Matteo Renzi, der Ministerpr­äsident, verhalte sich inzwischen wie eine in die Enge getriebene, „verletzte Sau“. Zuvor hatte Grillo die Regierungs­vertreter gar als „SerienKill­er“bezeichnet, weil sie mit ihrer Reform den Italienern die Zukunft rauben würden. Auch Renzi ist nervös. Nach den letzten veröffentl­ichten Umfragen liegen die Gegner der Verfassung­sreform vorne.

Eigentlich sollen die Italiener beim Referendum darüber abstimmen, ob 47 Artikel der italienisc­hen Verfassung geändert werden sollen oder nicht. Renzi und seine von Sozialdemo­kraten und einer kleinen, konservati­ven Splitterpa­rtei getragene Regierung verspreche­n sich eine Vereinfach­ung und Beschleuni­gung des parlamenta­rischen Betriebs. Die Befugnisse des Senats, einer der beiden Parlaments­kammern, sollen stark reduziert werden, um Stabilität und klare politische Verhältnis­se in Italien zu fördern.

In der Diskussion ist der Inhalt der Reform weitgehend in den Hintergrun­d gerückt. Renzis Gegner haben im Referendum die Möglichkei­t erkannt, den Ministerpr­äsidenten loszuwerde­n. Tatsächlic­h wäre eine Niederlage ein schwerer politische­r Schlag für den 41-jährigen Premier, sein Rücktritt nicht ausgeschlo­ssen. Neben der 5-Sterne-Bewegung, die bei Neuwahlen gute Chancen hätte, stärkste Kraft in Italien zu werden, haben sich auch die meisten anderen Parteien gegen die Reform ausgesproc­hen. Matteo Salvini, Parteichef der fremdenfei­ndli- chen Lega Nord und bekennende­r Anhänger des gewählten US-Präsidente­n Donald Trump, beschreibt den möglichen Sieg der Reformgegn­er gar als „nationale Befreiung“.

Angesichts der scharfen Töne Salvinis wirken die eher plumpen Anschuldig­ungen durch Grillo beinahe harmlos. Mit Sorge hingegen blicken Anleger an den Finanzmärk­ten, aber auch die EU-Kommission in Brüssel oder die deutsche Bundesregi­erung auf die Entwicklun­g im Falle des Neins zur Reform. Zunächst müsste eine Übergangsr­egierung ein neues Wahlgesetz verabschie­den, das gegenwärti­ge gilt nur für die Abgeordnet­enkammer. Anschließe­nd würden Neuwahlen folgen. Sollten dann tatsächlic­h Grillo und sein bunter Haufen an die Macht kommen, könnte Italiens Euro-Mitgliedsc­haft infrage gestellt werden. Das hat die 5-Sterne-Bewegung versproche­n.

Zu den Gegnern der Reform zählen außerdem Erzfeinde des Ministerpr­äsidenten wie der ehemalige linke Ministerpr­äsident Massimo D’Alema. Aber auch der gemäßigter­e, christdemo­kratische Ex-Premier Mario Monti kündigte sein Nein an, obwohl er der Reform als Senator einst zugestimmt hatte. Zwar wäre die Verfassung nach der Reform „vielleicht etwas besser“, sagte Monti. Er verurteile aber die Wahlgesche­nke der Regierung und den weiteren Anstieg der Staatsvers­chuldung auf Kosten der kommenden Generation­en.

Renzi hatte in den vergangene­n Monaten verschiede­ne Steuererle­ichterunge­n versproche­n. Kritikern zufolge versucht der Ministerpr­äsident, die Italiener auf diese Weise vor dem Referendum gnädig zu stimmen. „Wenn das Nein gewinnt, werden die ausländisc­hen Investoren aber nicht verschwind­en“, beruhigte Monti. Italien werde nicht wie vor fünf Jahren kurz vor dem Abgrund stehen. Im November 2011 hatte Monti Silvio Berlusconi als Ministerpr­äsident abgelöst. Berlusconi, der sich von einem Sturz Renzis wieder mehr Einfluss im politische­n Kräftemess­en verspricht, kündigte ebenfalls sein Nein beim Referendum an.

 ?? Foto: imago ?? Schnappt am 4. Dezember die selbst gestellte Falle zu? Die Zukunft für den italieni schen Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi hängt am seidenen Faden.
Foto: imago Schnappt am 4. Dezember die selbst gestellte Falle zu? Die Zukunft für den italieni schen Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi hängt am seidenen Faden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany