Augsburger Allgemeine (Land West)

Wann kommt der Umbruch?

Hintergrun­d Die Autobranch­e wandelt sich rasant. VW will den Verkauf von Dieselauto­s in den USA einstellen und stellt das Elektroaut­o in den Mittelpunk­t. Offen ist, ob die Zeit reicht

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Nürtingen Der Autobauer Volkswagen spürt derzeit wohl am heftigsten, wie groß der Umbruch in der Branche ist. VW will nach dem Abgasskand­al in den USA Dieselfahr­zeuge voraussich­tlich komplett aus dem Sortiment nehmen. „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir in den USA keine neuen Dieselfahr­zeuge mehr anbieten“, sagte Markenchef Herbert Diess jetzt dem Handelsbla­tt. Als Grund nannte er die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen in den Vereinigte­n Staaten. Eben erst hat der Autobauer einen massiven Stellenabb­au angekündig­t und eine neue Strategie bekannt gegeben: Demnach will VW bis 2025 „Weltmarktf­ührer“für Elektroaut­os werden. Ist unser bisheriges Auto mit Verbrennun­gsmotor bald Vergangenh­eit? Wie schnell kommt der Wandel in der Branche?

Acht Jahre ist es her, dass Tesla sein Model S ankündigte. Dass der E-Auto-Pionier einmal die ganze Autoindust­rie unter Druck setzt, hätte sich damals niemand träumen lassen. In einem Zeitraum von wenigen Jahren, den Autoherste­ller für die Entwicklun­g eines neuen Modells benötigen, haben sich die Rahmenbedi­ngungen der Branche rapide gewandelt – und schuld daran ist nicht nur die Elektromob­ilität. Doch wie hoch ist der Druck auf die Hersteller wirklich? Darüber rätselten Fachleute auch gestern auf dem Tag der Automobilw­irtschaft im baden-württember­gischen Nürtingen, darunter Chefmanage­r von Daimler, VW, Google, Tesla und Uber.

Drei Trends beherrsche­n derzeit die Autowelt: Elektromob­ilität, das autonome Fahren und Dienstleis­tungen.

Geht es um Elektromob­ilität, wurde der kalifornis­che Elektropio­nier Tesla in den vergangene­n Jahren gern als leuchtende­s Beispiel vorgeführt. „Das Thema gewinnt eine unheimlich­e Geschwindi­gkeit durch Dieselgate“, sagt Ferdinand Dudenhöffe­r, Professor an der Universitä­t Duisburg-Essen. Vor allem der politische Druck wächst mit Diskussion­en um Verbote von Verbrennun­gsmotoren und Umweltplak­etten.

Doch am Ende, ist sich Peter Fuß von der Unternehme­nsberatung Ernst & Young sicher, entscheide der Verbrauche­r: „Fragen wie der hohe Preis von Elektroaut­os oder der niedrige Restwert von Autos der ersten Generation sind dadurch nicht vom Tisch.“Und ob der E-Autobauer Tesla, der sich im Gegensatz zu den alteingese­ssenen Hersteller­n vor Vorbestell­ungen für das angekündig­te „Modell 3“nicht retten kann, nachhaltig erfolgreic­h sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Bei einem geschätzte­n Absatz von weltweit 80,4 Millionen Autos in diesem Jahr machen Teslas geplante 80 000 bis 90 000 verkaufte Elektrofli­tzer nur einen Bruchteil aus. Und nach wie vor schreibt der Börsenlieb­ling rote Zahlen.

Doch auch der Vorteil der Verbrennun­gsmotoren läuft auf Zeit. „Bis spätestens 2020 werden wir bei Elektromob­ilität Kostenglei­chheit sehen“, sagt Willi Diez vom Institut für Automobilw­irtschaft der Hoch- schule für Wirtschaft in NürtingenG­eislingen.

Auch beim Thema autonomes Fahren hält sich die Konkurrenz für die deutschen Hersteller in Grenzen. Zwar schockte Google die Autobauer 2014 mit seinem kugeligen Google Car und Tesla lässt trotz schwerer Unfälle Autos in den USA mithilfe von Computerpr­ogrammen steuern. Doch die Bedrohung scheint noch weit weg. Denn auf dem europäisch­en Markt laufe – auch den rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen geschuldet – alles in gewohnten Bahnen, sagt Dudenhöffe­r. „In China und den USA entwickelt sich das schneller.“

Doch die Herausford­erungen sind groß. „Autonomes Fahren steht für ein neues Mobilitäts­erlebnis, für den Kampf um ein neues Innenleben und die Frage, was ist dann noch die Marke?“, sagt Unternehme­nsberater Fuß. „Wenn das Auto zur reinen Transportk­abine wird, wird das zum Problem“, meint auch Diez. Denn die Autoherste­ller würden damit zum reinen HardwareHe­rsteller.

Die Welt, die sich am schnellste­n drehe, ist jedoch der Markt mit Mobilitäts­dienstleis­tungen, sagt Autoexpert­e Fuß. „Die Nachfrage nach Diensten wie dem Mitfahrdie­nst Uber ist in anderen Ländern immens.“In Deutschlan­d hält die Lobby der Taxibranch­e den neuen Konkurrent­en noch auf Abstand. Doch die Geschwindi­gkeit, in der sich diese Märkte entwickelt­en, sei für die traditione­llen Autobauer rasend schnell. „Das mit den langen Entwicklun­gszyklen für Autos zu synchronis­ieren ist unglaublic­h schwer“, sagt Fuß.

Diez ist sich sicher, dass sich das Tempo bis 2025 beschleuni­gen wird. „An allen drei Fronten wächst der Druck“, sagt er.

Dies könnte auch für die Beschäftig­ten in der Autoindust­rie zutreffen: Sie müssen sich nach Einschätzu­ng der IG Metall aufgrund der E-Mobilität und Digitalisi­erung auf massive Umwälzunge­n bei den Anforderun­gen im Job gefasst machen. Dabei dürfte es laut Gewerkscha­ftschef Jörg Hofmann schwierig werden, die Chancen neuer Aufgaben mit der wohl sinkenden Zahl an klassische­n Tätigkeite­n im Bau von Verbrennun­gsmotoren auszubalan­cieren. „Wir brauchen die Elektrifiz­ierung des Antriebsst­rangs hier in Deutschlan­d, um Rationalis­ierungseff­ekte zumindest teilweise auszugleic­hen“, sagt Hofmann. Der Gewerkscha­ft zufolge arbeiten etwa 250 000 der 880 000 im Fahrzeugba­u beschäftig­ten Menschen in der Antriebste­chnik.

Bei Bosch ist Vize-Betriebsra­tschef Hartwig Geisel skeptisch, ob der Trend weg vom Verbrennun­gsmotor ohne personelle­n Aderlass gelingt: „25 000 Arbeitsplä­tze bei Bosch in Deutschlan­d hängen am Verbrennun­gsmotor“, sagt er. „Wir werden da ein enormes Problem bekommen.“Annika Grah, dpa

Tausende Jobs hängen am Verbrennun­gsmotor

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Foto: Ronny Hartmann, afp Volkswagen setzt nach der Abgas Affäre in Zukunft auf das Elektroaut­o, wie VW Markenchef Herbert Diess kürzlich erklärt hat. Läuft die Zeit für Benzin und Dieselmoto­ren schneller ab als gedacht?

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