Augsburger Allgemeine (Land West)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (47)
Fiorenza begriff seine Lage, lächelte ihm verschmitzt zu und tat so, als schnürte sie ihr Leibchen auf. Der Diakon wußte nicht, wie er sich verhalten sollte angesichts dieses unglaublichen Vorschlags. „Du bist wirklich töricht.“„Das ist doch gar keine schlechte Idee“, sagte sie und sah ihm in die Augen, „es ist Nacht, wir sind allein, hier ist ein Bett und niemand sieht uns. Außerdem bin ich noch nie mit einem Besessenen ins Bett gegangen und bin neugierig zu sehen, was der Teufel zustande bringt. Man erzählt sich Wunderdinge. Bitte! Komm zu mir ins Bett!“Der Diakon fing an zu schwitzen, hin und hergerissen zwischen Verlegenheit und Erregung. Er versuchte sich zu beherrschen.
„Du scherzt über eine Sache, die mich ernstlich beunruhigt.“
„Nein nein, ich meine es wirklich ernst.“
„Du bist meine Schwester“, sagte der Diakon mit kaum hörbarer Stimme. „Und das heißt?“„Das heißt, daß es nicht geht.“„Du kannst doch hinterher beichten.“
„Du bist gut. Wir Klosterbrüder beichten beim Prior. Der zeigt mich auf der Stelle bei den Beamten der Sittenpolizei an.“
„Es gab Heilige, die haben sich mit nackten Mädchen ins Bett gelegt, um zu sehen, ob sie es schaffen, ihnen zu widerstehen, und jetzt hängen sie über den Altären.“„Ich bin kein Heiliger.“„Willst du’s denn nicht versuchen? Wir spielen einfach dieses Spiel, und dann seh’n wir, wohin die Wissenschaft uns führt.“„Was für eine Wissenschaft?“„Die Wissenschaft vom Schwanz, mein Bruder.“
Fiorenza näherte sich ihrem Bruder, schob eine Hand unter die Kutte und streichelte seine haarige Brust.
„Warum ziehst du diesen Rock nicht aus? Wir vergehen ja hier vor Hitze“, sagte Fiorenza leise.
„Sei mir nicht böse“, sagte ihr Bruder, „aber du hast einen schlechten Moment erwischt. Diese Sache mit dem Teufel bringt mich ganz durcheinander. Entschuldige, aber ich muß mich erst zurechtfinden.“
Fiorenza sah ihn enttäuscht an, aber sie gab noch nicht auf. Der Diakon wußte nicht, wie er gegen die Versuchung angehen sollte.
„Ich will dich nicht zu sehr bedrängen, aber es ist wirklich schade“, sagte Fiorenza. „Wenn du nicht mein Bruder und dazu noch ein Mönch wärst, dann könnten wir jetzt schon einer über dem anderen im Bett sein. Aber du kommst mir ganz verstört vor.“
„Das stimmt, mir raucht der Kopf.“
„Weißt du, daß ich gekränkt sein könnte?“
„Ich versteh’ gar nichts mehr, Fiorenza. Du stellst meinen freien Willen auf die Probe.“
Die Schwester sah ihn verwirrt an, dann wühlte sie in ihren Haaren.
„Das sag’ ich dir gleich, mit dem freien Willen leg’ ich mich nicht an.“Der Diakon senkte den Blick ohne etwas zu erwidern.
„Vielleicht bist du müde“, sagte Fiorenza.
„Ja, ich bin müde“, bestätigte der Diakon.
„Oder hast du Angst?“ Der Diakon antwortete nicht. „Ich bin nicht übergeschnappt. Ich bin schon mit vielen Priestern im Bett gewesen. Mit jungen und alten.“
„Herzlichen Glückwunsch! Und bist du stolz darauf?“
„Sicher. Wenn du wüßtest, wie dankbar sie sind, danach.“Fiorenza ging zu der Kerze und tat als wolle sie die Flamme löschen.
„Soll ich die Kerze löschen, und wir gehn dann im Dunkeln ins Bett?“
„Warte.“Der Diakon berührte den nackten Arm der Schwester, um ihn von der Kerze wegzuziehen. Ein Schauer durchlief ihn von Kopf bis Fuß.
„So eine Gelegenheit bekommst du so bald nicht wieder“, sagte Fiorenza.
„Ich sagte doch schon, du bist meine Schwester.“
„Wir wollen ja auch nicht heiraten.“
„Das stimmt, aber ich muß noch drüber nachdenken.“
„Solche Dinge tut man auf Anhieb, ohne nachzudenken.“
Der Diakon schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken zu verscheuchen. Fiorenza deutete diese Geste als ein Zeichen der Verneinung.
„Aber das wollte ich dich noch fragen: warst du je mit einer Frau im Bett?“ „Warum fragst du mich?“„Nur so.“„Ja“, sagte der Diakon. „Das glaub ich dir nicht. Wenn das wahr wäre, dann hättest du dich schon über mich hergemacht. Jedenfalls bleibt dir noch die ganze Nacht, falls du’s dir anders überlegst.“
Der Diakon schwieg. Er wußte nicht, wo er hinschauen und wo er seine Hände lassen sollte. „Hast du schon was gegessen?“„Nein. Ich hab’ auch wirklich Hunger, und hab’ Durst und bin müde und ganz verzweifelt.“
Fiorenza sah ihn besorgt an, aber sie merkte, daß ihr Bruder zu lächeln versuchte.
„Hier im Zimmer hab’ ich nichts zu essen. Ich würde ja zur Wirtin gehn, aber ich hab’ Angst, daß die Alte sich aufregt.“
„Ich kann schon überleben bis morgen früh.“
„Geld für dein Zimmer hast du natürlich nicht.“
„Woher sollte ich es haben? Ich hab’ keinen einzigen Soldo bei mir.“
„Mach dir nichts draus, ich spreche morgen mit der Wirtin.
Vielleicht sagt sie mir, wo dieser Codronchi wohnt. Aber dann mußt du mir auch erzählen, was er von dir will, dieser Schurke von Kardinal.“
Der Diakon machte eine ausweichende Gebärde, während seine Schwester sich zu entkleiden begann und ihre Brust entblößte.
„Ich geh’ jetzt besser schlafen“, sagte der Diakon mit flammendem Kopf. „Ich laß’ die Tür angelehnt. Ich warte auf dich bis die Kerze abgebrannt ist.“
Blitzartig zog Fiorenza sich ganz und gar aus und stellte sich nackt zur Schau. „Hast du nicht doch Lust?“Ohne zu antworten senkte der Diakon den Kopf und verließ das Zimmer seiner Schwester.
„Ich erwarte dich“, sagte Fiorenza noch einmal. Der Diakon erschien wieder in der Tür.
„Es wäre mir lieber, du würdest die Kerze löschen. Besser es ist dunkel, falls ich mich doch noch entschließe zu kommen.“
Das Mädchen blies die Kerze aus und es wurde dunkel im Zimmer.
In seine Kammer zurückgekehrt, die ihm die Wirtin zugewiesen hatte, riß der Diakon das Fenster auf, und die Welt schwankte furchterregend. Er ließ sich aufs Bett fallen und versuchte, den Hunger zu bezwingen, der an seiner Seele nagte.
Diesmal hatte er keinen Schwefelgestank gerochen, und seine Schwester hatte sich nicht in einen häßlichen Ziegenbock verwandelt wie jenes Mädchen aus Viterbo.
»48. Fortsetzung folgt