Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie gesund ist Europa?

Studie Die Versorgung mit Hausärzten wird immer schlechter. Außerdem sterben jedes Jahr Tausende, weil die Luft in Ballungsrä­umen so verpestet ist. Das sind nur zwei der großen Gesundheit­sprobleme

- VON DETLEF DREWES

Brüssel

Jedes Jahr sterben in der Europäisch­en Union 467 000 Menschen an Krankheite­n, die durch Luftversch­mutzung ausgelöst wurden. Deshalb, so sagte Hans Bruyninckx, Geschäftsf­ührer der Europäisch­en Umweltagen­tur, seien „drastische Maßnahmen nötig“– etwa Fahrverbot­e für alte Autos in Innenstädt­en. Legt man die Grenzwerte der EU zugrunde, waren 2014 rund 17 Prozent der Städter gefährlich hohen Feinstaubk­onzentrati­onen ausgesetzt. Noch alarmieren­der sei die Situation, wenn man die Höchstwert­e der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) als Basis nimmt. Dann leben 85 Prozent der Bewohner von Ballungsge­bieten mit einer Belastung, die gefährlich für ihre Gesundheit ist. Auch Deutschlan­d ist betroffen. Hier ist – wie in den Niederland­en, Großbritan­nien und Griechenla­nd – der Verkehr die Hauptursac­he für die schlechte Luft.

Doch auch abgesehen von den Krankheite­n, die durch Luftversch­mutzung entstehen, ist der Gesundheit­szustand der Europäer nicht gut. „Ungefähr 50 Millionen Menschen sind mehrfach chronisch krank und mehr als eine halbe Million Menschen im erwerbsfäh­igen Alter stirbt jedes Jahr an chronische­n Krankheite­n“, sagte der für Gesundheit­sfragen zuständige EUKommissa­r Vytenis Andriukait­is. Zusammen mit der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) stellte er gestern eine Studie vor, die die Frage beantworte­n sollte: „Wie gesund leben die Europäer?“Die Antwort: Es gibt Probleme an allen Ecken.

Zwar habe sich die Lebenserwa­rtung auf 78,1 Jahre für Männer (plus vier Jahre gegenüber 1990) und 83,9 Jahre für Frauen (vorher lag sie bei 80,9 Jahre) erhöht. Aber man komme weder beim Abbau vermeidbar­er Risiken – wie Alkoholkon­sum, Rauchen oder Übergewich­t (16 Prozent aller Erwachsene­n gelten als dickleibig oder adipös) – weiter noch bei der Sanierung maroder Strukturen im Gesundheit­swesen.

Denn vor allem die ärztliche Versorgung in weiten Teilen der EU macht den Experten Sorgen. Ihre Studie zeigt, dass 27 Prozent der Patienten nur deswegen in Notaufnahm­en gingen, weil sie keinen Arzt erreicht hätten. Dazu kommt, dass Patienten 15 Prozent der notwendige­n Behandlung­skosten von Krankheite­n selbst tragen müssten. Weil es außerdem den Trend gebe, dass sich immer mehr Spezialist­en und weniger Hausärzte niederlass­en, stiegen die Kosten für ärztliche Versorgung immer weiter an. Und in der Medizin entsteht ein Zwei-Klassen-System. Das heißt nach Auffassung der Brüsseler EU-Kommission: „Für arme Menschen verzehnfac­ht sich im Vergleich zu ihren wohlhabend­eren Mitbürgern das Risiko, aus finanziell­en Gründen nur schwer eine angemessen­e medizinisc­he Versorgung zu erhalten.“

Die Gesundheit­ssysteme müssten deshalb, so die zentrale Forderung, belastbare­r und flexibler werden – vor allem wegen des wachsenden Anteils älterer Menschen. Die Staaten sollten mehr Aufmerksam­keit in die Gesundheit­svorsorge investiere­n. Allerdings kann die EU nicht viel tun: Für die Gesundheit ihrer Bürger sind nur die Mitgliedst­aaten zuständig.

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Foto: Boris Roessler, dpa Viele Europäer sterben vorzeitig an vermeidbar­en Leiden – etwa Übergewich­t. Doch das ist nur eines von vielen Gesundheit­sproblemen.

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