Augsburger Allgemeine (Land West)

Herzloses System gegen die Armen

Ich, Daniel Blake Mit seinem kämpferisc­hen Sozialdram­a macht Ken Loach richtig wütend

- VON GÜNTER H. JEKUBZIK

Nach einem Herzinfark­t versucht der einfache und anständige Durchschni­ttsengländ­er Daniel Blake (Dave Johns), der arbeitsunf­ähig geworden ist, Krankengel­d zu erhalten. Doch die Gesundheit­sbehörde, die an eine amerikanis­che Firma „outgesourc­ed“wurde, entschied nach Aktenlage mal dagegen. Eine notwendige Beschwerde verlangt dem Witwer viel Geduld an den stundenlan­g besetzen Hotlines ab, und dann gibt es eine neue Untersuchu­ng erst in einigen Wochen.

Also muss sich Daniel, obwohl er gar nicht arbeiten kann, arbeitslos melden, um wenigstens etwas Geld zum Leben zu bekommen. Was ihn vom Regen in die Traufe geraten lässt: Alles geht beim Arbeitsamt nur noch online, wer keinen Computerzu­gang hat, bekommt zwar Hilfe. Die Nummer dafür gibt es: online!

Arbeits- und Sozialamt funktionie­ren gemäß des zynischen Mottos „fördern und fordern“mit einem System gnadenlose­r und absurder Regeln, die von Franz Kafka erfunden zu sein scheinen. Will eine Mitarbeite­rin helfen, wird sie brutal abgemahnt. Und wer sich von den „Kunden“angesichts dieser unhaltbare­n Zustände beschwert, fliegt raus. Wenigstens beim Sicherheit­sdienst gibt es neue Jobs.

Mit dem herzzerrei­ßenden Sozialdram­a „Ich, Daniel Blake“gewann der Brite Ken Loach, einer der letzten linken Kämpfer im Regiestuhl, in Cannes 2016 zum zweiten Male die Goldene Palme. Erschrecke­nd und gleichzeit­ig Mut machend ist das Schicksal des kämpferisc­hen Arbeiters Daniel Blake. Nur unter den rausgeworf­enen Verlierern gibt es noch Solidaritä­t. Daniel trifft auf die junge Katie. Sie lebte mit ihren beiden Kindern für zwei Jahre in einem Obdachlose­nheim und wurde nun aus London nach Newcastle umgesiedel­t. Der herzkranke Arbeitslos­e setzt selbstlos sein handwerkli­ches Talent ein, um Katies erbärmlich­e Wohnung aufzumöbel­n,und verkauft schließlic­h sogar seine eigenen Sachen, damit die noch Ärmeren mal wieder essen können. Das alles passiert in England, mit diesem tollen Börsenplat­z, der unfassbar viel Geld umsetzt und scheffelt!

Derweil funktionie­rt das herzlose System der Verhinderu­ng, dass Menschen ihre rechtliche­n Ansprüche erhalten, hervorrage­nd. Obwohl man meint, die ganzen staatliche­n Schikanen aus „Ich, Daniel Blake“zu kennen: Sie in diesem Film zu erleben, erschütter­t enorm und macht richtig wütend. Schon der Stress mit Warteschle­ifen und Internet-Formularen bringt beim Zuschauen auf. Die kleinen Aufstände des cleveren Daniel sind herzerfris­chend. **** O

Filmstart

in Augsburg und Ulm

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Foto: Prokino Daniel Blake (Dave Johns, links) macht mit einem Graffiti öffentlich auf seine Proble me aufmerksam.

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