Augsburger Allgemeine (Land West)

Fremd im eigenen Land?

Hip Hop Das Comeback des Jahres, live: Eine ausverkauf­te Schwabenha­lle feiert die Beginner. Die Geschichte des deutschen Hip-Hop lebt auf – aber auch Probleme der deutschen Identität

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es sollte ein Einschwöru­ngsspruch sein, eine dieser bei Konzerten meist gegrölten, gegenseiti­gen Rückversic­herungen einer Einigkeit zwischen Stars und Publikum, die über die Musik hinaus geht. Nach dem Motto: Wir wissen, was gut ist, wir sind die Guten, oder? Yeah! Aber hier, in der ausverkauf­ten Schwabenha­lle, geht genau das an diesem Dienstagab­end schief. Nicht etwa, weil sich die drei Herren dort auf der Bühne nicht des Rückhalts der 6000 hier versammelt­en Menschen sicher sein könnten. Es ist komplizier­ter. Es ist Deutschlan­d im Jahr 2016.

Worin sich aber lautstark zunächst auch alle in der Halle einig waren: Dass an diesem Abend wie auf der ganzen Tournee das deutsche Comeback des Jahres gefeiert wird. Auf der Bühne nämlich stehen die Beginner, die vor 20 Jahren von Hamburg aus zu Helden des noch jungen deutschen Hip-Hop wurden und 2003 dann als Erste dieser Branche überhaupt ein Album an die Spitze der Hitparaden platzierte­n.

„Blast Action Heroes“hieß die Platte, und die Hits aus jener alten Zeit vom „Liebes Lied“bis zum Nena-Cover „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“sind eben gerade nicht nur Hip-Hop-Fans ein Begriff, sondern haben sich mit dem Näseln des später als Jan Delay noch berühmter werdenden Rapper Jan Eißfeldt ins ganze Popland eingebrann­t. Damals hatten Eißfeldt, der hier Eizi Eiz heißt, und seine beiden Mitstreite­r Denis Lisk alias Denyo und Guido Weiß alias DJ Mad aber genau deshalb die Segel gestrichen: Popstars wollten sie nicht sein, und ihrem geliebten Hip-Hop fügte der Boom Schmerzlic­hes zu. Bis heute hält der Trend an, dass Rapper jetzt regelmäßig die Chartspitz­e erklimmen, die exakt das Gegenteil der so klugen wie coolen und dabei witzigen Beginner sind: brachial breitbeini­ges Gangsterge­pose. Schon das eine doppelte Identitäts­frage also, der Musik und des Images.

Das Triumphale an ihrer Rückkehr im Jahr 2016 war exakt darum auch, dass Eizi Eizi, Denyo und DJ Mad 13 Jahre nach ihrem letzten Album jetzt mit einem neuen zeigten, dass trotz der Hip-Hop-Flut ihr Platz in all den Jahren unbesetzt geblieben ist. Und dass sie nun, nachdem vor allem Eißfeldt als Jan Delay zwischenze­itlich eine glänzende Solo-Karriere hingelegt hatte, sofort wieder imstande waren, diesen Platz einzunehme­n.

Das zeigt der furiose Auftakt an diesem Abend in Augsburg. Die Beginner servieren die erste Single der Comeback-Platte, „Ahnma“, das zündet, auch wenn die Gaststimme­n des Songs (Gzuz und Gentleman) beim Konzert vom Band kommen – und gleich darauf legen sie „Hammerhart“nach, einen ihrer ersten Kracher, vom Album „Bambule“, 20 Jahre alt, und die reinste Fanfreude. So ist der Bogen nach noch nicht mal zehn Minuten gespannt, den sie über hundert Minuten hinweg zu halten verstehen: Denn die Beginner sind die Beginner sind die Beginner. Als solche sind sie groß gewesen, haben sie gefehlt und sind sie wieder da. Und das wird dann abgefeiert von „Wer bistn du ey?“bis „Rock on“, vom alten „Foxy Music Medley“zum neuen „Es war einmal“. Immer funzelt eine mächtige Lichtorgel dazu auf der Bühne, immer tänzeln albern die beiden, nun ja, Background­sängerinne­n dazu und immer haben die Beginner damit ihr Publikum am Haken. Außer dieses eine Mal.

Und es ist nicht, als die Herren nach alter Hip-Hop-Schule die Menge statt nur cool zu posen mal wieder hüpfen sehen wollen, zu „Füchse“etwa und dem allzu Deichkind-artigen „Rambo Nr. 5“– denn siehe da, die vielen Mit-Veteranen und auch die nicht wenigen Jungspunde, sie hüpfen flächendec­kend noch gern, selbst wenn der Sound in der Halle an nicht wenigen Stellen mal wieder eher dünn ankommt. Und es ist auch nicht, als Eizi Eiz in einer der wenigen Unterbrech­ungen die tatsächlic­h kräftig mitsprechs­ingenden Augsburger immer wieder knapp vorbei als „Domspatzen“anspricht – ist vielleicht sogar unfreiwill­ig komisch, die Herren jedenfalls bewegen sich ja sonst so gar nicht improvisie­rend aus ihrer prächtig geölten Showmaschi­ne heraus.

Das Loch tut sich vielmehr auf, als zu einem Höhepunkt des Abends der Gaststar Torch auf die Bühne tritt, ein Pionier der Szene, dessen einstiger Combo zu Ehren die Beginner ihr Comeback-Album „Advanced Chemistry“getauft haben. Und nachdem Torch mit „Wir waren mal Stars“einen alten Hit gerappt hat, soll die vielleicht fein ausgedacht­e, große Verschränk­ung stattfinde­n. Dessen alter Hit gegen Ausländerf­eindlichke­it soll sich mit einem neuen Song der Beginner zum wieder aufflammen­den Ressentime­nts, „Thomas Anders“, verbinden. Wir wissen, was gut ist, wir sind die Guten, oder?

Doch als Eizi Eiz den Titel des alten Torch-Songs zur um Gröl-Zustimmung bittende Frage formuliert, lautet das: „Und? Fühlt ihr euch auch manchmal fremd im eigenen Land?“Und ihm antwortet eben gar kein Yeah. Auch bei Wiederholu­ng der Frage nicht. Es ist Deutschlan­d 2016. Und der Titel von Torch, der einst das Ausgegrenz­theitsgefü­hl von Deutschen mit Migrations­hintergrun­d und der Befremdung der Liberalen über ansteigend­en Nationalis­mus ausgedrück­t hat – inzwischen ist der Satz wortgleich vom AfD-Gauland und auch der NPD verwendet worden, als Ausdruck des bedrohten Deutschtum­s. Schwierige­s Gleis, Glatteis, nichts zum einfachen Brüllen. Der Rest des Abends schon.

Nach 13 Jahren Pause war ihr Platz immer noch unbesetzt

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Näselte 6000 Leute am Dienstagab­end glücklich: Jan Eißfeldt, 40 Jahre alt, aus Hamburg, bekannt als Jan Delay – bei den Beginnern aber Eizi Eiz.
Foto: Michael Hochgemuth Näselte 6000 Leute am Dienstagab­end glücklich: Jan Eißfeldt, 40 Jahre alt, aus Hamburg, bekannt als Jan Delay – bei den Beginnern aber Eizi Eiz.

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