Augsburger Allgemeine (Land West)
Zerrissen im eigenen Körper
Schicksal Chrysanth Hofstetter leidet an einer bipolaren Störung. Sie kostet ihn fast das Leben und zerstört seine Familie. Im Augsburger Bezirkskrankenhaus findet der 47-Jährige zu sich zurück und startet noch einmal durch
Der Wendepunkt seines Lebens war am 19. Januar 2016. Damals lieferte sich Chrysanth Hofstetter mit drei Polizeiautos eine wilde Verfolgungsjagd durch München. Dabei fuhr er mit 60 Stundenkilometern über den Bürgersteig, missachtete alle Verkehrsregeln und krachte schließlich mit seinem Wagen in eine Mittelleitplanke. Dank Achsbruch war die Verfolgungsfahrt beendet. Hofstetter wurde festgenommen und kam in die geschlossene Abteilung des Bezirkskrankenhauses (BKH) Haar. Es war ein Höhepunkt seiner manischen Phase.
Aber von Anfang an. Aus dem Ruder lief sein Leben bereits Anfang 2015. Hofstetter wuchs in Augsburg auf, studierte an der Universität Augsburg Betriebswirtschaftslehre und machte sich anschließend in Erding mit einem Reisebüro selbstständig. Über 20 Jahre arbeitete er in seinem Geschäft, immer sechs Tage die Woche, in seiner Freizeit war er bei seiner Frau und den gemeinsamen vier Kindern. „Ab dem zweiten Kind wurde alles sehr anstrengend“, sagt der 47-Jährige heute.
Ende Januar 2015 konnte er nachts nicht mehr schlafen. Wenn es gut lief, kam er auf drei Stunden pro Nacht. Innerhalb kürzester Zeit veränderte er sich. „Ich war immer froh, dass bei der Verfolgungsfahrt nichts passiert ist und ich niemandem geschadet habe. Da muss ich einen Schutzengel gehabt haben.“Er verbrachte zehn Wochen in der geschlossenen Abteilung in Haar. Dort erfuhr er von seiner bipolaren Störung und begann Lithium zu nehmen. Salze dieses chemischen Elements werden bei der Behandlung von bipolaren Störungen verwendet.
Nach seiner Zeit in Haar konnte er nicht mehr zu seiner Familie zurück. „Da war zu viel vorgefallen. Meine Ehe ist kaputt, was leider verständlich ist. Denn da gehört Ehrlichkeit dazu, was in den Monaten vor meiner Festnahme nicht mehr gegeben war. Wir haben keine gemeinsame Basis mehr.“Hofstetter hat alles verloren: seinen Job, seine Familie, seine gewohnte Umgebung. Aufgrund seiner Straftaten, die er während seiner manischen Phase begangen hat, stehen vier Prozesse aus.
Dank seiner Eltern und seines Bruders konnte er wieder Fuß fassen. Er kam nach Augsburg, wo seine Eltern leben, und sprach in der Tagklinik des BKH Augsburg vor. Er erhielt einen Termin – allerdings erst einige Wochen später. Die Zeit überbrückte er mit dem Angebot des sozialpsychiatrischen Dienstes der Diakonie in Augsburg. „Das hat mich gerettet, denn sonst hätte ich wieder zum Grübeln angefangen“, sagt er. Im BKH schließlich fühlte er sich endlich angekommen und aufgehoben. „Es ist die beste und professionellste Betreuung von allen Einrichtungen, wo ich bislang war.“
In der Tagklinik, die er zehn Wochen lang täglich von 8.15 bis 16.30 Uhr besuchte, erhielt sein Leben wieder einen Rhythmus. Er traf Menschen, die an derselben Krankheit leiden, Ärzte, die ihn mit ihrem Wissen unterstützen. Chrysanth Hofstetter spricht heute von seinem zweiten Leben, das er nun in Augsburg begonnen hat. Er sieht seine Kinder wieder regelmäßig, er besucht wöchentlich die Selbsthilfegruppe der Menschen mit bipolarer Störung im BKH, er spricht öffentlich über seine Krankheit. Etwa bei den Filmtagen „Gesundheit ist relativ“, die im Oktober im Liliom stattfanden, die von der gemeinnützigen GmbH „Beteiligung am Leben“veranstaltet wurden (siehe unten stehenden Artikel).
Im neuen Jahr will er noch einen Schritt weiter gehen. „Da will ich wieder zum Arbeiten anfangen, in Teilzeit. Der Stressfaktor war für mich der größte Störfaktor. Stress ist ein Hauptproblem unserer Gesellschaft. Das will nur niemand hören.“