Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Rente ist sicher, das ja. Aber in welcher Höhe?

Leitartike­l Bei ihrem Gipfel haben Union und SPD mehr Entscheidu­ngen vertagt als getroffen. Warum das für den beginnende­n Wahlkampf nichts Gutes bedeutet

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Deutschlan­ds teuerste politische Baustelle ist und bleibt die Rente. Mit mehr als 90 Milliarden Euro fließt nahezu jeder vierte Euro, den der Bund einnimmt, als Zuschuss in die gesetzlich­en Rentenkass­en. In wenigen Jahren bereits wird der Preis, den die Republik für ihre schleichen­de Vergreisun­g bezahlt, bei 100 Milliarden liegen – entspreche­nd gut will jede Reform überlegt sein, die dem System weitere Kosten aufbürdet.

Gemessen daran haben Union und SPD sich bei ihrem Rentengipf­el durchaus vernünftig verhalten. Die schrittwei­se Angleichun­g der Ostrenten auf Westniveau und das Aufstocken der Erwerbsmin­derungsren­ten verschling­en bei weitem nicht die Summen, die die Koalition zu Beginn der Legislatur­periode mit der Einführung der abschlagsf­reien Rente mit 63 und der sogenannte­n Mütterrent­e ausgegeben hat. Das aber liegt nicht an der sozialpoli­tischen Disziplin von Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, sondern alleine am fehlenden Einigungsw­illen der drei. Die dicken Brocken bei der Rente kommen erst noch – vor allem, wenn sich die SPD durchsetzt.

Dass Sozialmini­sterin Andrea Nahles das Rentennive­au von gegenwärti­g 48 Prozent eines Durchschni­ttseinkomm­ens nicht unter die Marke von 46 Prozent fallen lassen will, ist aller Ehren wert – viele Beschäftig­te, die heute Mitte vierzig oder Mitte fünfzig sind, treibt inzwischen die Sorge um, im Alter womöglich viel knapper kalkuliere­n zu müssen als ursprüngli­ch gedacht. Zur politische­n Wahrheit gehört dann aber auch, dass ein solcher Schritt zwölf Milliarden Euro im Jahr kostet und dieses Geld keine Regierung wie selbstvers­tändlich aus dem Steuer- oder Beitragsto­pf schöpfen kann. Das heißt: Aus der Rente mit 67, so umstritten und unpopulär sie sein mag, wird irgendwann die Rente mit 69 oder 70 werden müssen. Das Rentenalte­r ist die einzige Stellschra­ube, an der die Politik drehen kann, ohne gleich die Konjunktur abzuwürgen. Beitragssä­tze von 25 Prozent und mehr wären jedenfalls Gift für sie.

Neben dem Umgang mit der Flüchtling­skrise wird die Rente damit zum zweiten großen Thema des beginnende­n Bundestags­wahlkampfe­s. Horst Seehofer will die letzte Gerechtigk­eitslücke bei der Mütterrent­e schließen, Sigmar Gabriel analog zum Mindestloh­n eine Mindestren­te einführen. Dazu noch die beim Gipfel der Parteivors­itzenden verschoben­e Entscheidu­ng über einen Zuschuss für Rentner, die ein Berufslebe­n lang ihre Beiträge bezahlt, aber so wenig verdient haben, dass sie mit ihrer Rente eigentlich ein Fall für die staatliche Fürsorge wären: Lang ist die Liste der Wünsche, die teils durchaus nachvollzi­ehbar sind wie bei der noch immer nicht für alle Frauen einheitlic­h geregelten Mütterrent­e, teils aber auch ordnungspo­litisch höchst fragwürdig wie Gabriels Mindestren­te, die endgültig mit dem Prinzip brechen würde, nach dem die Rente ein Abbild des eigenen Erwerbsleb­ens ist: Wer immer gearbeitet und gut verdient hat, bekommt auch eine bessere Rente als jemand, der sich von Gelegenhei­tsjob zu Gelegenhei­tsjob gehangelt hat. Auch das, Frau Nahles, ist eine Frage der Gerechtigk­eit.

Die Illusion, mit der gesetzlich­en Rente den gewohnten Lebensstan­dard im Alter halbwegs halten zu können, sollte ohnehin niemand mehr haben. Dazu klafft die Schere zwischen Jung und Alt zu weit auseinande­r, dazu reichen auch die Halteseile nicht aus, die die Sozialmini­sterin beim Rentennive­au einziehen will. Umso wichtiger wäre es, andere Formen der Vorsorge gezielter zu fördern. Die skandinavi­schen Länder, zum Beispiel, sind uns hier weit voraus. Mit ein paar Steuervort­eilen für die Betriebsre­nte, wie jetzt verabredet, ist dieser Rückstand nicht aufzuholen.

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