Augsburger Allgemeine (Land West)

Nachricht von Oma Gertrude

Wahlkampf Warum eine 89-jährige Wienerin ihre Stimme gegen Österreich­s Rechtspopu­listen erhebt

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg

Gertrude wird am 4. Dezember ihre Stimme abgeben. Es geht darum, ob ein Rechtspopu­list oder ein Grüner Österreich­s nächster Bundespräs­ident wird. Und es ist möglicherw­eise die letzte Wahl für „Oma Gertrude“. Sie wird schließlic­h bald 90. Doch diese Frau hat noch etwas zu sagen. Obwohl sie bis vor kurzem eine ganz normale Wiener „Pensionist­in“war, verbreitet sich ihre Videobotsc­haft im ganzen Land. Denn es sind Worte, die einen kaum kaltlassen können.

Dieser Wahlkampf ist nicht nur einer der längsten (Wahl, Stichwahl, Neuwahl), sondern auch der wohl ekligste, den die Alpenrepub­lik je gesehen hat. Das politische Klima in Österreich ist vergiftet. Verstörend­er Tiefpunkt war ein Fernsehdue­ll, in dem die beiden Kandidaten ihrer gegenseiti­gen Verachtung ungezügelt freien Lauf ließen. Gertrude ist eine alte Frau. Sie könnte sich fragen, was sie das alles noch angeht. Aber sie will sich nicht mit solchen Entgleisun­gen abfinden. „Die Beleidigun­g anderen gegenüber, das Runtermach­en, das Schlechtma­chen, das stört mich am allermeist­en“, sagt sie nachdenkli­ch.

Die Rhetorik der Rechtspopu­listen um Norbert Hofer erinnert sie an ihre Kindheit. Es war eine grauenhaft­e Kindheit. Als Gertrude 16 Jahre alt ist, wird sie mit ihren Eltern und den beiden Brüdern nach Auschwitz gebracht. Als der Krieg zu Ende geht, ist sie die Einzige von ihnen, die noch lebt. Die Bilder verfolgen sie für immer.

In den letzten Monaten musste die Wienerin oft an diese Zeit denken. Sie erinnerte sich daran, wie die Juden in ihrer Heimatstad­t die Straßen reinigen mussten und Frauen und Männer höhnisch lachend danebensta­nden. Heute hat sie wieder das Gefühl, es werde versucht, das „Niedrigste aus den Menschen herauszuho­len, nicht das Anständige“. Das macht ihr Angst. Als Gertrude hört, wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache behauptet, ein Bürgerkrie­g in Österreich sei „mittelfris­tig nicht unwahrsche­inlich“, wenn die Zuwanderun­g nicht gestoppt wird, fasst sie einen Entschluss.

Gertrude bezieht Stellung – für den Kandidaten der Grünen, Alexander Van der Bellen. Mit einem öffentlich­en Appell versucht sie ihre Landsleute aufzurütte­ln. „Für mich ist es wahrschein­lich die letzte

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