Augsburger Allgemeine (Land West)

Ebriman hat überlebt. Und jetzt?

Flüchtling­e Jeden Tag versuchen Menschen, über das Mittelmeer nach Italien zu kommen. Hunderte ertrinken. Wer überlebt, ist noch nicht gerettet. Viele warten in Sizilien auf ihre Zukunft. Ein Besuch auf der Insel der Hoffnung

- AUS SIZILIEN BERICHTET SUSANNE EBNER

Es ist grau und kühl an diesem Novemberta­g auf Sizilien. Nur die reifen Orangen leuchten wie Farbtupfer auf einer Leinwand. Das Dorf Mineo liegt 66 Kilometer südwestlic­h der Küstenstad­t Catania. Am Fuß eines Hügels befindet sich die sogenannte Orangen-Residenz, die Residence degli Aranci. Was so schön klingt, ist eine gut bewachte Siedlung, bestehend aus vielen erdtonfarb­igen Häusern. Die OrangenRes­idenz ist mit aktuell rund 3100 Menschen die größte Unterkunft für Asylbewerb­er auf der Insel. Hier lebt Ebriman.

Der 20-Jährige, gekleidet in einen hellgrauen Adidas-Pullover, steht auf dem Rasen in einem Vorgarten der rund 400 Reihenhäus­er und beobachtet das Treiben auf der Straße. Wie die meisten hier wirkt er, als habe er zu viel Zeit und zu wenig zu tun. Denn außer einem einstündig­en Sprachunte­rricht pro Tag ist nicht viel los. Ebriman kam aus der westafrika­nischen Republik Gambia über Libyen mit einem Schlepperb­oot nach Sizilien und lebt seit etwa einem Jahr im Camp. Die Frage, ob es ihm hier besser gehe, beantworte­t der junge Mann zögerlich. „Ich kam aus einem Land mit vielen Problemen, und nun bin ich hier und habe neue Probleme.“Er sei dennoch froh, hier zu sein.

Hilfsorgan­isationen berichten von Gewalt, Ausschreit­ungen und einer schlechten medizinisc­hen Versorgung im Camp. Sebastiano Maccarone ist der Direktor der Einrichtun­g in Mineo. Er sagt an diesem Dienstagna­chmittag nichts zu diesen Vorwürfen. Der Italiener führt Besucher selbstbewu­sst durch das Camp, präsentier­t die Häuser und streicht dabei verbeilauf­enden Migranten auch mal mit fester Hand über den Kopf. In seinem Büro spricht er vor allem vom Sprachunte­rricht und der speziellen Betreuung für die Menschen im Camp, die über das Meer nach Sizilien flohen.

Tatsächlic­h sind viele Bewohner der Orangen-Residenz auf einer waghalsige­n Reise mit einem Schlauchbo­ot oder einem maroden Kutter hierher gekommen. Laut Angaben der EU erreichten in diesem Jahr bis Mitte November bislang rund 147 000 Menschen mit der Hilfe von Schleusern Italien. 20000 mehr als zum gleichen Zeitpunkt des vergangene­n Jahres. Bis auf wenige Aufnahmen mussten alle durch Frontex-Schiffe oder nichtstaat­liche Organisati­onen gerettet werden. Der norwegisch­e Polizist Pål Erik Teigen hat viele solcher Rettungsak­tionen im Mittelmeer erlebt.

Der 50-Jährige mit den Lachfalten in den Augenwinke­ln leitet regelmäßig Frontex-Einsätze des Marine-Schiffes „Siem Pilot“, das an diesem Tag ruhig im Hafen von Catania liegt. „Unsere Hauptaufga­be ist es, die Grenzen zu kontrollie­ren; doch Leben zu retten, hat für uns oberste Priorität“, betont Teigen und sieht dabei nachdenkli­ch aus. Während er erzählt, wirkt es ein bisschen so, als würde er die Einsätze der vergangene­n Wochen noch einmal vor sein inneres Auge rufen. Von einem Boot in Seenot erfahren Teigen und seine Mannschaft meistens, wenn ein Migrant von einem Boot aus mit einem Satelliten­telefon einen Notruf absetzt. Manchmal riesigen Geschäft geworden“, bestätigt auch Europol-Abteilungs­leiter Michael Rauschenba­ch. Überfahrte­n würden teurer, die Schleuser brutaler. Flüchtling­e würden mittlerwei­le teilweise mit Waffengewa­lt zur Überfahrt gezwungen. Um Menschensc­hmuggler – oder Mitglieder der IS-Terrormili­z unter den Flüchtling­en – dingfest zu machen, bräuchte man eine bessere Zusammenar­beit zwischen den einzelnen Staaten.

Die allermeist­en Flüchtling­e, die Pål Erik Teigen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet, seien jedoch nicht kriminell, betont er. An der Küste Siziliens werden sie in Bussen zu sogenannte­n Hotspots gebracht. Dort werden alle Personen biometrisc­h erfasst und befragt. Danach sollen sie innerhalb von 72 Stunden entweder einen Asylantrag stellen können oder abgeschobe­n werden – so weit die Theorie. Dass das in der Praxis vor Ort nicht immer ganz reibungslo­s läuft, zeigt sich in diesen Tagen im Hotspot von Pozzallo, einer Küstenstad­t im Süden von Sizilien. In der gut bewachten, von hohen Zäunen umgebenen Unterkunft halten sich Beobachter­n zufolge vor allem unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e viel länger als die veranschla­gten drei Tage auf.

Dass viele Hotspots überfüllt sind, hat Italien nicht alleine zu verantwort­en. Ursprüngli­ch sollten die Menschen von dort auf andere EULänder verteilt werden. Doch die Aufnahmequ­oten sind nicht annähernd erfüllt worden. Statt der vereinbart­en 160000 wurden bislang nur wenige Tausend umgesiedel­t. In diesen Novemberta­gen startet der erste Flieger nach Deutschlan­d – mit 200 Menschen. Es fehlt an Solidaritä­t innerhalb der EU. Im italienisc­hen Außenminis­terium setzt man deshalb auch auf die Zusammenar­beit mit afrikanisc­hen Ländern. Mit dem Ziel, Anreize für eine Rückkehr zu schaffen.

Ebriman, der im Camp in Mineo lebt, möchte aber nicht zurück nach Afrika. Er hat, nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, Einspruch eingelegt. Falls er doch bleiben darf, möchte er in Italien Fuß fassen. Ebriman hat noch Hoffnung.

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Foto: Susanne Ebner Der 20 jährige Ebriman ist einer von rund 3100 Flüchtling­en im sizilianis­chen Dorf Mineo.

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