Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Gegenwarts­kunst muss Farbe bekennen

Leistungss­chau Wie hoch ist das Niveau des regionalen Kunstschaf­fens in Bild, Skulptur und Installati­on? Bei der 68. Großen Schwäbisch­en in Augsburg wird es in Beziehung zur Kraft der Alten Meister gesetzt

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg

Wie oft schon war die Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung – ohne Thema, Programm, Konzept – letztlich ein Sammelbeck­en, ja ein Sammelsuri­um eingereich­ter, nicht wirklich streng jurierter Kunst? Sie war es oft. Und wenig schien daran gedreht werden zu können.

2016 aber, zur 68. Ausgabe dieser Jahressich­t regionalen Kunstschaf­fens, erhält die Schau plötzlich überrasche­nde Zugkraft. Zum einen sind die potenziell­en Ausstellun­gsteilnehm­er durch den ausrichten­den Berufsverb­and Bildender Künstler animiert worden, mit ihren Werken auf die Deutsche Barockgale­rie im Augsburger Schaezlerp­alais einzugehen und zu reagieren – beispielsw­eise architekto­nisch, thematisch, formal. Zum Zweiten hat der Hausherr, Kunstsamml­ungsdirekt­or Christof Trepesch, von dem diese Anregung ausgegange­n war, es auch zugelassen, dass nun 67 ausgewählt­e Arbeiten von 60 Künstlern (33 weiblich, 27 männlich) in eben diese Deutsche Barockgale­rie bis Mitte Januar integriert sind.

Und genau dieses Konzept verschafft der Großen Schwäbisch­en besagte unerwartet­e Zugkraft. Zwar ist nur eine Minderheit der teilnehmen­den Künstler, nämlich rund ein Dutzend, auf die Anregung der Veranstalt­er eindeutig und belegbar eingegange­n, doch konnte gleichzeit­ig die überwiegen­de Mehrheit der „bezuglos“eingereich­ten Arbeiten so platziert werden, dass dennoch eine deutliche Verbindung zu einzelnen Werken oder Gattungen der großartige­n Malerei in der Deutschen Barockgale­rie hergestell­t werden konnte. Beispiel: Himmelsfot­ografie neben Kirchenhim­mel in Öl. Für die 67 neuen Arbeiten wurden nur gut 20 Werke des Museumsbes­tands abgehängt.

Gewiss, es kann ein Kniff sein, Alt und Neu zu kombiniere­n – denn oft Hier ist alles Gold und Silber, was glänzt. Für den Rokoko-Festsaal im Augsburger Schaezlerp­alais hat Nina Zeilhofer (*1961) eine Raumskulpt­ur geschaffen, die sich in Farbe und Form deutlich auf ihren Präsentati­onsort innerhalb der 68. Großen auch inhaltlich. Zeilhofers Skulptur kann (und darf) aus vier Himmelsric­htungen betreten werden – und diese Himmelsric­htungen stehen für die vier Erdteile, die im Deckenfres­ko des Rokoko-Festsaals thematisie­rt sind. Fotos (4): Ulrich Wagner genug läuft dies auf den Vorteil, die Aufwertung, die unberechti­gte Adelung des Neuen hinaus. Gleichzeit­ig gilt aber auch: Nun hat das Neue im Kontext zur abgesegnet­en Qualität unwiderruf­lich Farbe zu bekennen. Beide Perspektiv­en zu beachten, ist jetzt im Augsburger Schaezlerp­alais gefragt. Es dürfte durchaus inspiriere­nd sein für das Publikum, Bezüge zu erkennen, weitere zu finden und künstleris­che Qualitäten abzuwägen in direkter Gegenübers­tellung. Für die Exponate der Großen Schwäbisch­en gilt im oberen Niveau, dass sie sich in einigen Fällen – wie etwa Stephan A. Schmidts Restlichtf­otografie „Keiner von Euch“– dem barocken Museumsbes­tand gewachsen zeigen; am unteren Ende aber auch in einigen Fällen, dass sie die Alte Kunst (mit ihrem gewissenha­ften Anliegen) aufdringli­ch zu beleidigen vermögen. Insgesamt am besten klappt der Dialog zwischen Zeitgenoss­en und Barockmale­rn in der Abteilung Stillleben sowie im Festsaal des Schaezlerp­alais, wo zwei Skulpturen perfekt auf die Innenarchi­tektur eingehen.

Wie schon in den vergangene­n Jahren setzt sich die Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung im Augsburger H2, Zentrum für Gegenwarts­kunst (Glaspalast) mit diesmal vier Installati­onen fort. Und auch dort gibt es eine (aufwendige) Arbeit mit Beziehung zum Schaezlerp­alais zu sehen: Christof Rehms Fotoinstal­lation „Festsaal 2016“, für die er eigenhändi­ge Handyfotog­rafien von den ältesten verfügbare­n Aufnahmen des Rokoko-Festsaals (1870er Jahre) auf Tapete übertragen ließ und damit einen Raum eben im H2 tapezierte. Erstaunlic­h auch die Installati­on „broken home“der Augsburger­in Monika Schultes, die starke Fotos ihres abgelebten Elternhaus­es mit einem mittelpräc­htigen Video über dessen Abriss kombiniert. Das Ganze: Dokumentat­ion und Beerdigung von gelebter Zeit.

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