Augsburger Allgemeine (Land West)
Droht den Apotheken auf dem Land das Aus?
Politik Der Versandhandel von rezeptpflichtigen Medikamenten könnte langfristig dazu führen, dass die Arzneimittelversorgung in ländlichen Gebieten dünner wird. Ein neuer Gesetzesentwurf soll diesen nun verbieten
Landkreis Augsburg
Seit 38 Tagen macht sich die Apothekerin Helga Schenk Sorgen um die Zukunft. Was ist passiert? An jenem Mittwoch, dem 19. Oktober 2016, entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, die Preisbindung von rezeptpflichtigen Medikamenten zu kippen. Wer bisher vom Arzt ein Medikament verschrieben bekam, konnte es kaufen, wo er wollte – es kostete in jeder Apotheke gleich viel. Diese Preisbindung verstoße jedoch gegen europäisches Recht, heißt es im Urteil. Ausländischen Anbietern werde der Zugang zum deutschen Markt erschwert. Schenk meint: „Unser Gesundheitssystem wird durch das Urteil unterlaufen.“Sie befürchtet, dass es langfristig zu einem Apotheken-Sterben auf dem Land kommt.
Die CSU-Landtagsabgeordnete Carolina Trautner, die Pharmazie studiert und mehr als 20 Jahre in einer Apotheke gearbeitet hat, erklärt: „Versandhandelapotheken, die rezeptpflichtige Medikamente im großen Stil verkaufen, können diese zu günstigeren Konditionen anbieten als öffentliche Apotheken.“Vor-OrtApotheken könnten dadurch verdrängt werden, was gerade im ländlichen Raum zu Schwierigkeiten führen kann. Denn drei wichtige Faktoren sieht Trautner nur bei öffentlichen Apotheken gegeben: „Die persönliche Beratung, die Rezepturherstellung von Medikamenten und die Notfallversorgung kann eine Versandhandelsapotheke nicht leisten.“Gerade Letzteres sei enorm wichtig: „Wenn Sie am Wochenende oder in der Nacht dringend ein Medikament brauchen, gibt es immer eine Apotheke im näheren Umkreis, die geöffnet hat.“Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs könnte sich das langfristig ändern, befürchtet sie.
Im Urteil heißt es zwar, dass ein Preiswettbewerb auch Vorteile bringen könnte. Viele Apotheker sind davon jedoch nicht überzeugt. Bereits jetzt sei die Zahl der Apotheken in Bayern rückläufig, berichtet die Deutsche Apotheker Zeitung. Aktuell gebe es im Freistaat 3215 öffentliche Apotheken. Vor sieben Jahren seien es noch 3447 gewesen. Im Landkreis Augsburg gibt es derzeit noch 54 Apotheken. Eine davon ist die St.Thekla-Apotheke in Welden, die Helga Schenk leitet. Sie bringt es auf den Punkt: „Kleine Orte wie Welden brauchen eine Apotheke. Wenn das wirtschaftlich nicht mehr rentabel ist, macht die Apotheke zu.“
Derselben Meinung ist auch die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), die am gestrigen Freitag im Bundesrat für ein Verbot des Versandhandels von rezeptpflichtigen Medikamenten plä- dierte. „Eine flächendeckende und wohnortnahe Arzneimittelversorgung ist essenzieller Bestandteil unserer Gesundheitsversorgung und in einer immer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger“, erklärte sie. Kein Versandhandel und keine Onlineapotheke könne die Apotheke vor Ort ersetzen. Bisher gebe es kein Konzept, mit dem die negativen Effekte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs abgewendet werden können. „Andere Versorgungsstrukturen sind weder vorhanden noch erwiesenermaßen besser“, sagte Huml. Ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sei daher „unumgänglich“.
Die Mitglieder des Bundesrats nahmen den Gesetzesentwurf an, der auf Initiative mehrerer bayerischer CSU-Abgeordneter erstellt worden war, darunter auch Carolina Trautner. Die 55-Jährige aus Stadtbergen erklärt: „Die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten sorgte dafür, dass ein kranker Patient keine Preisvergleiche anstellen musste.“Zudem habe sie die Verdrängung durch günstige Anbieter aus dem Ausland verhindert.
Ein Verbot des Versandhandels von rezeptpflichtigen Medikamenten könnte dem entgegenwirken. Doch die Annahme des Gesetzesentwurfs im Bundesrat bedeutet nicht, dass das Gesetz auch erlassen wird. Zunächst wird der Entwurf nun an die Bundesregierung weitergeleitet, die dazu Stellung nehmen kann. Erst danach wird im Bundestag darüber beraten. Trautner sagt: „Ich hoffe, dass wir das Gesetz für Deutschland durchbringen. Schließlich gibt es andere europäische Länder, die keinen Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten haben.“In nur sieben EU-Ländern ist der Handel erlaubt: Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien.