Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Portion Kindheit bitte!

Pfannkuche­n, Pommes oder Fischstäbc­hen – warum das Lieblingse­ssen unserer ersten Jahre uns für das ganze Leben prägt

-

Essen und wir. Eine besondere Beziehung. In unserer Gesellscha­ft ist sie wichtiger denn je. Essen ist nicht mehr die bloße Nahrungsau­fnahme, sondern Genuss, Status, Selbstbild. Dabei spielt ein Gericht eine spezielle Rolle: unser Kindheitse­ssen.

Was für den einen nach einem langen Schultag die Pfannkuche­n mit Nutella waren, das waren für den anderen Fischstäbc­hen oder Nudeln mit Tomatensoß­e. Traditione­ll gab es bei manchen Kindern auch Dampfnudel­n von der Oma oder Kässpätzle. Wir sind schließlic­h in Schwaben. Aber was macht dieses Gericht aus der Kindheit mit uns heute noch? Trösten uns Großmutter­s Knödel bei Liebeskumm­er?

Monika Wilhelm ist promoviert­e Ernährungs­wissenscha­ftlerin und Geschäftsf­ührerin der Dr.-RainerWild-Stiftung für gesunde Ernährung in Heidelberg. Sie bestätigt das, was die meisten von uns längst vermutet haben: „Essen macht zufrieden. Und das ist eine Voraussetz­ung, um glücklich zu sein.“Wilhelm erklärt dieses Phänomen mit der Bedürfnisp­yramide des Amerikaner­s Abraham Maslow. Laut Maslow ist Essen ein Grundbedür­fnis, das neben anderem wie Schlafen oder Trinken die Basis der Pyramide bildet. Werden diese Bedürfniss­e befriedigt, ist der Mensch glücklich und kann sich entfalten. „Der Sinn und Zweck des Essens ist ja, dem Körper Energie zuzuführen“, sagt Wilhelm.

Aber Hackbraten ist nicht gleich Hackbraten. Da gibt es den von Großtante Luisa und den von der Schwiegerm­utter. Und da ist noch ein wesentlich­er Unterschie­d: Wilhelm differenzi­ert zwischen Essen und Ernährung: „Ernähren kann ich mich mit Kohlenhydr­aten, Eiweiß und Fett. Essen hingegen ist sehr viel mehr als das. Es geht dabei um Fragen wie: mit wem, wie, wo und warum wird gegessen.“

Essen, das ist Freitagabe­nd der Gang in das neue, piekfeine Lokal um die Ecke. Essen, das ist, Freunde treffen und guten Wein zu Pasta trinken. Essen, das ist sich jeden Mittag zur selben Zeit mit den Kollegen in der Kantine zu treffen. Essen, das ist, sich darüber zu streiten, wer das letzte Stück Sahnetorte bekommt. Essen, das ist ein Mittel, um zu kommunizie­ren, ein Mittel, um zu entspannen, um Begegnunge­n zu fördern. Essen, das ist Familientr­adition, Kultur, Genuss, das ist Religion, Weihnachte­n und Ostern.

Und Essen, das ist Glück. Laut Wilhelm sorgen bestimmte Substanzen in Lebensmitt­eln für die Ausschüttu­ng von Neurotrans­mittern im Hirn. Und diese wirken sich positiv auf unser Empfinden aus. Schokolade gilt zum Beispiel als Genussmitt­el. Tatsächlic­h sei nachgewies­en worden, dass beim Verzehr von Schokolade die Endorphin- und Serotonins­piegel steigen. Substanzen, die helfen, Stress abzubauen und Glücksgefü­hle auslösen. „Das ist allerdings noch nicht restlos geklärt und ein sehr komplexer Prozess.“

Schon als Fötus lernen wir, was „Schmecken“ist. Später, als Kind, haben wir laut Ernährungs­expertin eine natürliche Vorliebe für Süßes, weil Bitteres in Pflanzen meist giftig ist – eine natürliche Vorbeugung­smaßnahme vor dem Verzehr von Giften also. Das Süße ist ein Geschmacks­sinn, der Wilhelm geprägt hat: „Mein Kindheitse­ssen sind Tiroler Moosbeerno­cken, also Pfannkuche­n aus frisch gepflückte­n Heidelbeer­en. Wenn ich das esse, bin ich sofort in Ferienstim­mung. Ich erinnere mich an Bergtouren mit der Familie in Österreich.“

Studien aus der Schweiz des Diplom-Küchenchef­s und -Gerontolog­en Markus Biedermann belegen, dass uns unser Kindheitse­ssen positiv beeinfluss­en kann. Er arbeitet seit mehreren Jahren mit dementen Patienten. Seine Beobachtun­g: Bei einigen Demenzkran­ken lassen sich durch Gerichte aus der Kindheit letzte Erinnerung­sinseln aktivieren und die Patienten blühen kurzfristi­g wieder auf, so Wilhelm. „Das Kindheitse­ssen ist in diesem Fall ein wichtiges Instrument, um schwer Demenzkran­ke zu erreichen.“

Das Kindheitse­ssen spielt also eine große Rolle und die eigene Familie entscheide­t darüber, welches Gericht zum Kindheitse­ssen wird. „Die Ernährungs­gewohnheit­en werden von Familie zu Familie weitergege­ben. Das prägt ein Kind“, erklärt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin. Denn an das, was wir als Kind essen, gewöhnen wir uns, es prägt uns und wir erinnern uns ein Leben lang, so Wilhelm. „Es geht um ein wichtiges Thema. Was wir essen, ist entscheide­nd dafür, wie alt wir werden und wie wir altern.“

Jeder Mensch habe Anlagen für bestimmte Krankheite­n. Ob sie auftreten oder nicht, hänge der Ernährungs­wissenscha­ftlerin zufolge vor allem von drei Faktoren ab: Von einer ausgewogen­en Ernährung, ausreichen­d Bewegung und einer positiven

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany