Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn Albatrosse den Geruch wahrnehmen, ist es für sie, als ob sie eine Glocke zum Essen ruft
Meeresschichten treibt oder auf den Meeresgrund abgesunken ist.
Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dauert es, bis Salzwasser, Sonnenlicht und die Reibung des Wassers Plastikmüll aufgelöst haben. Giftige Inhaltsstoffe werden dabei freigesetzt und gelangen in die Nahrungskette. Schildkröten, Fische, Wale und andere Meerestiere strangulieren sich in Geisternetzen, fressen Plastikmüll oder verfüttern kleinere Teile gar an ihre Jungen. Dies beeinträchtigt den Stoffwechsel, sorgt für Entzündungen und manchmal auch für den Tod. Dazu kann es auch kommen, wenn Tiere zu viele Plastikteile gefressen haben: Der Magen ist voll, aber es werden keinerlei Nährstoffe mehr aufgenommen. Gut dokumentiert ist dies vor allem für Vögel, die Tiere verhungern qualvoll.
Doch warum fressen die Vögel überhaupt Plastik? Ein amerikanisches Forscherteam hat sich nun dieser Frage gewidmet. Die naheliegende Vermutung der Wissenschaftler war, dass die Tiere Plastikmüll und Nahrung nicht zuverlässig unterscheiden können. Die Ergebnisse seiner Studie hat das Team um Matthew Savoca von der University of California in Davis vor kurzem in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht. Die wichtigste Erkenntnis: Es ist wohl der Geruch des Plastiks, der die Tiere zu diesem tödlichen Irrtum verleitet. Meeresvögel wie Albatrosse oder Sturmvögel lassen sich bei der Beutesuche nicht nur von ihren Augen, sondern auch von ihrem hoch entwickelten Geruchssinn leiten. Genau diese Arten, allesamt sogenannte Röhrennasen (Procellariiformes), sind aber auch dafür bekannt, am häufigsten Plastik zu fressen.
Für ihr Experiment ließen die Forscher Proben gängiger Plastiksorten drei Wochen lang an einer Boje befestigt im Meer treiben. Nach dieser Zeit untersuchten sie die Proben mit einem Gaschromatographen, ein Gerät, das an der kalifornischen Uni normalerweise genutzt wird, um verschiedene Aromen im Wein aufzuspüren. Mit dieser feinen künstlichen Nase konnten die Forscher nachweisen, dass das Plastik aus dem Meer Dimethylsulfid absondert, eine sehr häufig in der Natur vorkommende Schwefelverbindung – und in diesem Fall eine tödliche Falle für die Meeresvögel. Denn genau diese Schwefelverbindung geben auch Algen ab, an denen Krill nagt. Eben jene kleine Krebschen sind auch das Lieblingsessen der untersuchten Seevögel.
Nehmen Albatrosse und Co mit ihren feinen Nasen eine hohe Konzentration dieses Geruchs war, ist das für sie wie das Läuten der Glocke, die zum Essen ruft, so Gabrielle Nevitt, Co-Autorin der Studie, in einer Mitteilung der Universität. Nach den Ergebnissen der Forscher war der Duft des Plastiks aus dem Meer sogar intensiver als jener der Meeresalgen.
Um zu überprüfen, ob ihre These von der Attraktivität des Geruchs auch durch andere Ergebnisse bestätigt werden kann, führten die Forscher eine weitere Untersuchung durch: Sie werteten über 50 andere Studien aus, die sich mit der Menge von gefundenem Plastik bei verschiedenen Seevögelarten beschäftigten. Insgesamt wurden bei diesen Studien über 13 000 Tiere untersucht. Das Ergebnis: Es sind eben tatsächlich jene, die auf der Suche nach Futter dem Geruch von Dimethylsulfid folgen. Insgesamt sechsmal häufiger als andere fressen Albatrosse und Sturmvögel Plastikteile. Matthias Zimmermann