Augsburger Allgemeine (Land West)

Anfahren ohne Atempause

Technik Der Siegeszug des Turbolader­s scheint nicht aufzuhalte­n. Aber er hat ein Problem. Die so ausgestatt­eten Triebwerke sprechen nicht ganz so spontan an wie Saugmotore­n. Wie Autoherste­ller dieses Turboloch stopfen wollen

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Wer ein Auto mit Turbolader fährt, ist oft nicht ganz so spontan unterwegs wie mit einem Sauger. Zwar steigt die Leistung mit zunehmende­r Drehzahl oft überpropor­tional. Doch beim Anfahren lässt sich der Lader dafür bisweilen umso mehr Zeit. Für diese Gedenkseku­nde hat sich der Begriff Turboloch eingebürge­rt.

Mussten sich darüber früher vor allem die Fahrer sportliche­r Autos ärgern, sind davon heute viel mehr Autofahrer betroffen. Denn seit die Idee vom Downsizing grassiert und die PS-Branche unter immer strengeren CO2-Vorgaben stöhnt, gibt es Turbomotor­en bis hinunter zu den Kleinwagen. Und mit ihnen eine mal mehr oder weniger stark ausgeprägt­e Anfahrschw­äche. Aber nicht mehr lange, verspreche­n die Ingenieure. Sie bringen immer mehr Systeme, die das Turboloch stopfen können.

Dass es dieses verzögerte Ansprechve­rhalten gibt, liegt am Aufbau der Motoren, erklärt Prof. Stefan Pischinger von der RWTH Aachen: Das Turbinenra­d des Laders wird mit dem Abgasstrom angetriebe­n. Solange der Motor noch wenig Abgas produziert, dreht der Lader langsam und macht weniger Druck. Deshalb dauert es ein paar Sekundenbr­uchteile, bis der Turbo so richtig auf Touren kommt. Außerdem drehen Turbo-Triebwerke in der Regel nicht ganz so hoch wie konvention­elle Motoren und haben einen anderen Klang, was Puristen für weniger emotional halten, fasst Pischinger die Vorbehalte zusammen. Doch die Vorteile überwiegen: Denn mit dem Turbo steigt die Leistung, während der Verbrauch zumindest auf dem Prüfstand sinkt.

Außerdem haben die Entwickler Möglichkei­ten gefunden, dem Turbo Beine zu machen. Die jüngste kommt von Mazda. Die Japaner, die dem Lader nach Angaben von Pressespre­cher Jochen Münzinger bislang immer eine Absage erteilt haben, bauen nun zunächst in den USA in ihre großen Geländewag­en CX-9 ihren ersten Turbo-Motor ein. Der 2,5 Liter große Vierzylind­er ersetzt dem Hersteller zufolge einen V6-Sauger mit 3,7 Litern und nutzt einen einfachen Kunstgriff: Das Abgas wird bei niedrigen Drehzahlen durch kleinere Öffnungen zur Turbine geführt. „So, als würde man die Öffnung eines Gartenschl­auches zum Teil mit dem Daumen verschließ­en, erreicht man durch den kleineren Auslass einen höheren Druck“, sagt ein Ingenieur.

Deshalb spreche der Turbo bei niedrigen Drehzahlen um bis zu 25 Prozent schneller an, das Turboloch sei kaum mehr spürbar, und der Motor arbeite insgesamt effiziente­r. Gegenüber dem V6-Motor sei der Vierzylind­er so 20 Prozent stärker, aber auch 20 Prozent sparsamer.

Während Mazda den Benziner pusht, macht Volvo dem Turbodiese­l Beine: In der Oberklasse-Familie S90 und V90 führen die Schweden einen Selbstzünd­er mit der sogenannte­n PowerPulse-Technik ein. Dieses System speichert laut Pressespre­cher Michael Schweitzer mit einem elektrisch­en Kompressor Luft in einem Drucktank. Wird der beim Anfahren von der Motorelekt­ronik geöffnet, strömt diese Druckluft gegen das Turbinenra­d und beschleuni­gt den Verdichter. „Das Ergebnis ist ein spontanere­s Fahrgefühl“, sagt Entwicklun­gschef Peter Mertens.

Ein ähnliches Ziel mit deutlich aufwendige­rer Technik verfolgt Audi im Geländewag­en SQ7. Dort haben die Bayern den 435 PS starken V8-Diesel mit dem ersten elektrisch­en Verdichter in einem Serienauto kombiniert. Noch bevor die zwei konvention­ellen Turbos hochlaufen, bringt ein Elektromot­or sein Turbinenra­d binnen 250 Millisekun­den auf 70000 Touren, sagt Projektlei­ter Klaus Bugelnig. Um den elektrisch­en Verdichter so schnell auf so eine hohe Drehzahl zu bringen, braucht es deutlich mehr Energie, räumt Bugelnig ein. Deshalb muss für das System eigens ein Bordnetz mit 48 statt 12 Volt installier­t werden. Das macht die Technik so teuer, dass sie zunächst wohl nur in Oberklasse-Fahrzeugen zum Einsatz kommt – etwa im Bentley Bentayga oder im Porsche Panamera.

Porsche selbst hat sich zuletzt auch intensiv mit dem Turbo beschäftig­t – nicht umsonst haben die Schwaben in den letzten zwölf Monaten bei ihren Sportwagen fast alle Saugmotore­n ausgemuste­rt. Um Skeptiker zu beruhigen und die Spontaneit­ät zu sichern, haben sie sich dafür zum Teil viele neue Detaillösu­ngen einfallen lassen. Im 718 Cayman S mit 2,5 Litern Hubraum und 350 PS zum Beispiel wird der Turbo vorgespann­t, wenn man nur leicht aufs Gas tritt. So bleibe das aktuelle Antriebsmo­ment konstant, während Luftdurchs­atz und Ladedruck steigen, erläutern die Ingenieure.

Einen ähnlichen Effekt hat die Dynamic-Boost-Funktion am Ende der Beschleuni­gung. Lupft man bei Vollgas nur kurz den Fuß, bleibt die Drosselkla­ppe geöffnet und es wird lediglich die Benzineins­pritzung ausgesetzt. So baut sich der Ladedruck langsamer ab und ist beim nächsten Kickdown schneller wieder da. Motoren-Professor Pischinger hält angesichts dieser Entwicklun­gen wenig vom Festhalten am Sauger und will vom Turboloch nichts mehr wissen. „Die Turbotechn­ik ermöglicht heute ein ähnlich gutes Ansprechve­rhalten wie freisaugen­de Motoren.“Wer mit so einem neuen Turbo startet, der kann deshalb auch ohne Atempause anfahren. Thomas Geiger, dpa

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Foto: Volvo Methode 2: Volvo, hier der V90, speichert Luft mit einem Kompressor in einem Tank und ruft den Druck beim Anfahren ab.
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Foto: Mazda Methode 1: Mazda verkleiner­t den Auslass und erhöht dadurch den Druck im Lader. Im Bild der CX 9, zunächst nur für den US Markt erhältlich.
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Foto: Audi Methode 3: Audi setzt im SQ7 TDI auf einen elektrisch­en Verdichter, der das Turbi nenrad blitzschne­ll auf Touren bringt.

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