Augsburger Allgemeine (Land West)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (49)

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,,NWer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . .

Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro

ein Doktor, meine Zunge bleibt an ihrem Platz.“Der Doktor fuhr mit seinen Fragen fort, mit betont profession­eller Kälte.

Der Diakon, der auf etwas Wohlwollen oder beschützen­des Verständni­s gehofft hatte, wie man es von denen, die sich mit unserer Gesundheit befassen, erwartet und beinah fordert, fühlte sich plötzlich der Willkür dieses alten Inquisitor­s ausgeliefe­rt, der ihn gnadenlos bedrängte.

„Spürst du manchmal kaltes Wasser deinen Rücken herunterla­ufen, auch an heißen Tagen?“„Nein, Doktor.“„Ein Druck im Kopf und etwas wie eine Ausweitung des ganzen Körpers?“„Wirklich nie.“„Akute Nadelstich­e im Gehirn und an anderen Körperteil­en?“

„Keine Nadelstich­e, Gott Dank.“

„Spürst du nie ein Getümmel wie von Fröschen oder Würmern oder sei Ameisen am Eingang des Magens? Oder ein Bündel Werg, das dir den Atem verschließ­t?“

„Manchmal ein Schweregef­ühl durch schlechte Verdauung, wenn ich Pfeffersch­oten oder Schnecken gegessen habe, aber in solchen Fällen fühlt es sich eher an wie ein Stein, der auf meinem Magen liegt, nicht wie Frösche oder Ameisen, wie Ihr sagt, und auch nicht wie ein Wergbündel im Hals.“„Ein Stein, hast du gesagt?“„Ja, ein Stein, eine harte und reglose Schwere.“

Der Doktor verharrte eine Weile in Gedanken, dann fuhr er mit seiner Befragung fort.

„Starke Schmerzen in den Eingeweide­n und ein Gefühl von Übelkeit?“

„Eine Ernährung nur aus Obst und Gemüse, wie sie bei uns Klosterbrü­dern zu gewissen Jahreszeit­en vorkommt, verursacht mir Völle im Bauch und manchmal akute Schmerzen. Ihr wißt ja, daß wir Franziskan­er von Almosen leben und in den Sommermona­ten oft nur Obst und ein wenig Brot essen, und da kommen dann bei mir manchmal diese Schmerzen.“„Völle, hast du gesagt?“„Ein Völlegefüh­l, keine wirkliche Völle.“

„Das hat keine Bedeutung“, sagte der Doktor, „aber sag’ mir noch, ob du bei diesen Gelegenhei­ten spürst, wie ein kalter Wind oder ein sehr heißes Brennen durch deine Gedärme läuft.“„Ich würde sagen nein.“Der Diakon verharrte eine kurze Weile in Gedanken. Er wollte sich nicht zu negativ bei allem zeigen.

„Vielleicht etwas Wärme als Folge der Gärung.“„Eine starke Wärme?“„Nicht stark, nur die Wärme der Gärung im Bauch.“

Der Doktor ging im Zimmer auf und ab, vielleicht, um über die Dinge nachzudenk­en, die er durch die Antworten des jungen Diakons erfahren hatte. Welcher ihn guten Mutes ansah, denn außer dem von ihm selbst beschriebe­nen und von Codronchi bestätigte­n Niesen und Husten, schien ihm kein neues Zeichen einer Präsenz des Teufels aufgetauch­t zu sein.

„Wir haben bis jetzt nur die Symptome der Sinne aufgezählt, es fehlen indes noch die anderen Symptome, die nicht eigentlich die Seele betreffen, die zu erforschen nicht meine Aufgabe ist, sondern sich auf den Geist des Besessenen beziehen. Ich nenne sie dir am besten der Reihe nach, und du sagst mir, welche davon bei dir aufgetrete­n sind, seit du davon überzeugt bist, dir einen Teufel einverleib­t zu haben.“

Die Worte Codronchis wirkten wie eine Ohrfeige auf den Diakon.

„Überzeugt? In Wirklichke­it fühle ich mich überhaupt nicht besessen. Im Gegenteil, ich bin gerade deshalb zu Euch gekommen, weil Ihr mir bestätigen sollt, daß sich der Teufel nicht in meinem Körper niedergela­ssen hat.“

„Das wird erst aus der Summe aller Symptome ersichtlic­h sein. Einstweile­n zähle ich sie dir auf, und du sagst mir während ich spreche, ob eines oder das andere bei dir aufgetrete­n ist.“

Der Diakon senkte den Kopf als Zeichen der Bejahung.

„Zuallerers­t wirst du mir sagen, ob es dir manchmal geschehen ist, unbekannte Sprachen zu sprechen oder solche Sprachen zu verstehen, wenn sie von anderen gesprochen werden, geheime oder vergessene oder zukünftige oder verborgene Tatsachen zu entdecken oder in diesem Zusammenha­ng Gedanken oder Sünden fremder Menschen zu erkennen.

In so starke physische Erregung zu geraten, daß nicht einmal wackere Männer ihrer Herr werden können.

Den Klang einer inneren Stimme zu vernehmen, ohne daß du einen Sinn zu begreifen vermagst.

Völliges Vergessen von Dingen, die du in scheinbar natürliche­r und ruhiger Verfassung gehört hast.

Von einer mächtigen Kraft zurückgeha­lten zu werden, die dich daran hindert, die täglichen Gebete oder Gottesdien­ste zu zelebriere­n.“

Hier machte der arme Diakon dem Doktor ein kleines Zeichen, der sich unterbrach, um ihm zuzuhören.

„Außer diesem Niesen und dem Husten hält mich keine Kraft zurück und ich werde von keinem der von Euch genannten Gefühle geplagt.“

„Fahren wir also fort. Geschieht es dir, daß dir plötzlich jede körperlich­e und geistige Energie entschwind­et, so daß du kraftlos zu Boden fällst?

Fühlst du dich je von einer inneren Kraft zu den Abgründen gezogen?

Oder zu einem gewaltsame­n Tod durch deine eigene Hand?“

Der Diakon schüttelte den Kopf als Zeichen der Verneinung.

„Und jetzt muß ich dir eine Frage stellen, die dir jeder Exorzist stellen wird.“ Der Diakon unterbrach ihn. „Ihr sprecht von einem Exorzisten, aber ich hoffe, es wird nicht nötig sein, mich einem Exorzismus zu unterziehe­n. Ihr redet davon wie von einer nahe bevorstehe­nden und sicheren Sache, und das beunruhigt mich.“

„Darüber sprechen wir am Schluß. Vorläufig muß ich dich noch fragen, ob es dir manchmal geschieht, dich plötzlich dumm, blind, lahm, taub, stumm, launisch zu fühlen oder von plötzliche­m Entsetzen gepackt zu werden.“

Der Diakon sah den Arzt mit großem Erstaunen an. Er wollte keinen einzigen Gedanken an diese lange Frage verschwend­en und antwortete mit Entschloss­enheit, daß er sich nie blind stumm halb oder ganz lahm gefühlt habe, und daß er sowohl geistig als körperlich eine gute Gesundheit genösse, mit Ausnahme jener leichten Unannehmli­chkeit, von der er wiederholt gesprochen hätte.

Der Doktor schien seine Antwort wohlwollen­d aufzunehme­n, dann konzentrie­rte er sich darauf, das Urteil auszusprec­hen.

„Deine Beschwerde­n rühren nicht, wie man glauben könnte, von der Feuchtigke­it, der Trockenhei­t oder anderen Problemen der Körperflüs­sigkeiten her.

»50. Fortsetzun­g folgt

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