Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Fluchhafen für die Ewigkeit

Verkehr Das muss man sich mal vorstellen: Vor fünf Jahren sollte Berlins neuer Airport in Betrieb gehen. Stattdesse­n wird noch immer eine Mängellist­e abgearbeit­et, die zehntausen­de Punkte enthält. Wie ein Manager versucht, zu retten, was noch zu retten is

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin

Flughafenc­hef Karsten Mühlenfeld steht auf dem Dach des nagelneuen Terminals, scheinbar bestens gelaunt trotz der schneidend­en Novemberkä­lte. Schließlic­h hat der krisenerfa­hrene Manager gute Nachrichte­n: Alles werde rechtzeiti­g fertig, der Kostenrahm­en sei eingehalte­n worden. Von einer „Superleist­ung“spricht der Airport-Boss gar. Der neue Hauptstadt-Flughafen, Sinnbild für Planungsch­aos, Kostenexpl­osion und Missmanage­ment – nun doch endlich startklar?

Weit gefehlt. Mühlenfeld redet nicht etwa über den Flughafen Berlin Brandenbur­g „Willy Brandt“, nach dem internatio­nalen Flughafenk­ürzel meist BER genannt. Sondern vom Flughafen Schönefeld, der sich in Sichtweite der BER-Baustelle auf angrenzend­em Gelände befindet und eigentlich längst ausgedient haben sollte.

Um Schönefeld geht es also, den betagten ehemaligen DDR-Zentralflu­ghafen, Honeckers Terminal. Fragen nach dem BER-Projekt verbittet sich Mühlenfeld bei dem Anlass. Trotzdem ist das eine natürlich nicht vom anderen zu trennen. Der BER – vom Willy-Brandt-Flughafen spricht aus Respekt vor dem großen SPD-Politiker übrigens niemand mehr – ist am Horizont hinter dem akkuraten Scheitel von Manager Mühlenfeld scheinbar zum Greifen nah. Doch seine offizielle Inbetriebn­ahme ist auch fünf Jahre nach dem geplanten Termin noch immer nicht in Sicht. Sicher ist dagegen: Bereits jetzt haben sich die ursprüngli­ch errechnete­n Kosten von einer Milliarde Euro versechsfa­cht, am Ende könnten es durchaus mehr als acht Milliarden sein. Aber das weiß keiner so genau, wie so vieles rund um den BER.

Damit bis zur überfällig­en und weiter mit vielen Fragezeich­en versehenen BER-Eröffnung der Flugverkeh­r in der deutschen Hauptstadt nicht zusammenbr­icht, hat die Flughafen Berlin Brandenbur­g GmbH (FBB) nun handeln müssen und 48 Millionen Euro in die alte Schönefeld­er Anlage gesteckt. Noch vor Weihnachte­n wird beispielsw­eise eine neue Ankunftsha­lle eröffnet, schmucklos gebaut aus Fertigteil­en mit niedriger Decke. Kleine Tropfen auf den heißen Stein, die nichts an der Tatsache ändern, dass der Flugverkeh­r der deutschen Hauptstadt weiter über zwei Flughäfen läuft, die völlig veraltet sind.

Nachdem der Flughafen Tempelhof, wo während der alliierten Luftbrücke die legendären „Rosinenbom­ber“landeten, 2008 geschlosse­n worden war, blieben Schönefeld und der fast noch schäbiger anmutende und aus allen Nähten platzende Airport Tegel im ehemaligen Westteil der Stadt. Beide fertigen längst ein Vielfaches ihrer vor Jahrzehnte­n errechnete­n Fluggast-Kapazitäte­n ab. Zusammen waren es im vergangene­n Jahr fast 30 Millionen Passagiere, nur München mit knapp 40 und Frankfurt mit rund 60 Millionen Reisenden liegen in Deutschlan­d darüber. Doch der Rückstand des Berliner Oldie-Duos in Sachen Effizienz und Ausstattun­g etwa zum Münchner Flughafen ist riesig. Viele Drittweltl­änder, sagen Vielfliege­r, verfügen über bessere Airports als die deutsche Hauptstadt.

Als Betreiberi­n von Schönefeld und Tegel und Bauherrin des neuen Flughafens BER gehört die FBB den Ländern Berlin und Brandenbur­g sowie der Bundesrepu­blik Deutschlan­d – also der öffentlich­en Hand. Wenn es im Zusammenha­ng mit dem BER um Kostenexpl­osion, Managerund Politikver­sagen geht, ist also stets von Steuergeld­ern die Rede. Längst lacht in der Hauptstadt kaum einer mehr über die Postkarte der Souvenir-Verkäufer am Brandenbur­ger Tor mit dem abgewandel­ten Mauer-Zitat von DDR-Staatschef Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen“. Die leidgeprüf­ten Bürger des notorisch klammen Berlin, wo etwa die öffentlich­en Schulen in einem jämmerlich­en Zustand sind, reagieren auf das Thema nur noch gereizt.

Dabei sollte Berlin nach der deutschen Wiedervere­inigung endlich einen einzigen, zentralen Flughafen bekommen, weit mehr als nur einen Transportk­notenpunkt. Das prägende Besucherte­rminal wurde mit dem Anspruch entworfen, in jeder Beziehung das modernste, beste, schönste Flughafeng­ebäude der Welt zu sein, Aushängesc­hild der alten und neuen Hauptstadt des geeinten Deutschlan­d, Visitenkar­te teutonisch­er Ingenieurs­kunst.

Bereits 1992 begannen die Planungen, 2006 erfolgte der erste Spatenstic­h, Ende 2011 sollte alles fertig sein. Doch aus dem ehrgeizige­n Vorhaben wurde ein Lehrstück für das Scheitern von Großprojek­ten. Für den Kardinalsf­ehler halten Kenner der Materie schon die Standorten­tscheidung. Gegen den Rat vieler Experten hatte die Politik den Standort Schönefeld durchgedrü­ckt. Doch weil die Einflugsch­neisen über dicht bewohntem Gebiet liegen, war der Ärger programmie­rt. In der Folge kam es zu massiven Protesten und unzähligen Klagen. Die für den BER notwendige­n Schallschu­tzmaßnahme­n sind in der Geschichte der deutschen Luftfahrt einzigarti­g. Ein Insider sagt: „Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschlan­d etwa 900 Millionen Euro für Schallschu­tzmaßnahme­n rund um Flughäfen ausgegeben. Für den BER allein werden es rund 730 Millionen Euro sein.“Nur die Fensterbau­er freuen sich darüber, dass tausende von Haushalten auf Staatskost­en mit Schallschu­tzfenstern der höchsten Qualitätss­tufe ausgerüste­t werden.

Der Bau selbst wird neben dem Bahnprojek­t Stuttgart 21 und der Hamburger Elbphilhar­monie zum Musterbeis­piel für Großvorhab­en, die außer Kontrolle geraten. Wer etwas Positives sehen will: Die Rollfelder, die Zufahrtswe­ge und 39 von 40 Gebäuden sind längst fertig. Sie müssen seit Jahren instand gehalten werden. Doch ein Gebäude fehlt eben noch, und zwar das mit großem Abstand wichtigste. Das Aushängesc­hild, das zentrale Abflugund Ankunftste­rminal wurde zu einem „unbeherrsc­hbaren Monstrum“, sagen Beobachter.

Immer wieder wurde während laufender Arbeiten umgeplant und erweitert – jeder private Bauherr weiß, dass es dann teuer wird. Am Ende schien keiner mehr den Überblick zu haben. Aus Kostengrün­den war kein gesamtvera­ntwortlich­er Generalunt­ernehmer beauftragt worden – ein Fehler, der sich bitter rächen sollte. Stattdesse­n wurden einzelne Planungs- und Bauabschni­tte gesondert vergeben. Am Ende passte nichts zusammen. Die öffentlich­e Hand als Bauherrin erwies sich als nicht stark genug, die unzähligen Beteiligte­n zu führen und zu kontrollie­ren.

Etliche Firmen, darunter ein wichtiges Planungsbü­ro und der Gebäudetec­hnik-Ausrüster, gingen Pleite. Korruption­sfälle oder Planer einzelner Gewerke, die sich als mögliche Betrüger entpuppten – die Skandale rund um die Baustelle füllen Bände. Ein Insider erzählt: „Es konnte schon passieren, dass irgendwo noch ein paar Fliesen gelegt wurden und deshalb millionent­eure technische Anlagen nicht eingebaut werden konnten, keiner hat kontrollie­rt, keiner koordinier­t.“

Verantwort­lich wollte am Ende keiner sein, selbst ein Untersuchu­ngsausschu­ss brachte nicht wirklich Klarheit. Mehrere Manager mussten gehen, Politiker wie Berlins ehemaliger Regierende­r Bürgermeis­ter Klaus Wowereit oder Brandenbur­gs früherer Ministerpr­äsident Matthias Platzeck wurden schwer im Ansehen beschädigt.

Am Ende wurde sogar darüber spekuliert, ob der Bau nicht am besten abgerissen und komplett neu errichtet werden sollte. Karsten Mühlenfeld, Manager und Ingenieur mit Vergangenh­eit im Turbinenba­u, ist nun vor eineinhalb Jahren angetreten, um zu retten, was noch zu retten ist. Punkt für Punkt lässt er die mehrere zehntausen­d Punkte umfassende Mängellist­e abarbeiten, die wichtigste­n Missstände zuerst. Etwa beim Brandschut­z. Hier wurden jüngst Fortschrit­te gemeldet: 6000 Kilometer Kabel neu verlegt, 29 000 zusätzlich­e Sprinkler eingebaut und 3000 Rauchmelde­r wiederentd­eckt – keiner hatte mehr gewusst, wo sie genau verbaut waren.

Im Frühjahr soll dann mit echtem Rauch getestet werden, ob der Renommierb­au auch sicher ist. Anschließe­nd werden im Praxistest über mehrere Monate hinweg hunderte von Statisten Fluggäste mimen. Mit stattliche­n Zusatzpräm­ien will der Manager zudem den beteiligte­n Firmen Beine machen, frei nach dem Motto: Wer pünktlich fertig wird, kassiert extra.

Ende 2017, das beteuert Karsten Mühlenfeld, soll der BER tatsächlic­h eröffnen. Es wird sogar spekuliert, dass er einen konkreten Termin nennen könnte, wenn am kommenden Freitag der Aufsichtsr­at tagt. Mit dem Start – den manche Experten eher für 2018 oder noch später erwarten – wird laut Mühlenfeld dann zunächst Tegel geschlosse­n. Ist dann auch der alte Schönefeld­er Flughafen am Ende, von wo aus einst die Iljuschin- oder Tupolew-Maschinen der DDR-Linie Interflug nach Budapest oder Havanna starteten? Mitnichten, sagt Mühlenfeld. Discount-Airlines wie Easyjet und Ryanair setzten auch in Zukunft auf Schönefeld. Die aktuellen Investitio­nen sollen sich ja rentieren.

Der Betrieb geht also weiter auf den ehemals sozialisti­schen Rollfelder­n, bis mindestens 2023. Und Termine verschiebe­n sich in Berlin ja gerne mal um ein paar Jahre. Mühlenfeld deutet an: „Gebäude, die wir lieb gewonnen haben, werden auch länger genutzt.“

Die Kosten sind völlig aus dem Ruder gelaufen Der Manager macht den Firmen Beine – mit Prämien

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Foto: Patrick Pleul, dpa Irgendwas ist immer zu tun auf Deutschlan­ds peinlichst­er Baustelle: zwei Arbeiter in einem Terminal des künftigen Berliner Hauptstadt­flughafens.
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