Augsburger Allgemeine (Land West)
„Wir haben viele Fehler gemacht“
Interview Der weltweite Erfolg der Populisten sei ein Warnschuss für die Parteien, sagt Norbert Röttgen. Der wichtigste Außenpolitiker der Union spricht schonungslos über Versagen der Politik und die Folgen der Wahl von Donald Trump
Röttgen, Donald Trumps Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl wird von Rechtspopulisten in ganz Europa gefeiert. Muss der Überraschungserfolg die etablierten Parteien auch in Deutschland beunruhigen?
Norbert Röttgen: Absolut. Das Erstarken der populistischen Bewegungen ist ein Warnschuss an die Parteien in Deutschland, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher. Es sind nicht nur Rechts-, sondern auch Linkspopulisten, je nachdem, auf welches Land man schaut. In Italien sind es die Linkspopulisten der Fünf-SterneBewegung, die davon profitieren wollen. Der neue nationale Populismus bedroht Europa und damit auch unseren Wohlstand und unsere Sicherheit. Wir befinden uns in einer sehr ernsten Lage.
Was bedeutet dieser Warnschuss konkret, außer nur zu sagen, man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen?
Röttgen: Wir müssen uns ganz klar die Frage stellen: Was waren unsere Fehler? Und da reicht es nicht, wenn wir sagen, wir haben alles richtig gemacht, wir müssen es nur besser erklären. Nein, wenn diese Bewegungen überall im Westen so stark werden, gibt es dafür Gründe. Und ich glaube, man muss offen aussprechen, dass in den letzten 20 Jahren auch viele Fehler gemacht wurden, die viele Bürger nun spüren und die wir korrigieren müssen.
Und an welche Fehler denken Sie da?
Röttgen: In den neunziger Jahren wurden die Kapitalmärkte liberalisiert und zehn Jahre später gab es eine internationale Finanzkrise, die durch ein ungeheuerliches Maß an Verantwortungslosigkeit Einzelner ausgelöst wurde. Trotzdem war es notwendig, dass im Allgemeininteresse die normalen Bürger, die Steuerzahler, die Sparer einspringen mussten. Oder, wenn man vor allem die amerikanische Reaktion auf den 11. September betrachtet, muss man klar sagen, dass der Ansatz, durch Intervention westliche Werte und die Demokratie im Nahen und Mittleren Osten zu verbreiten, gescheitert ist. Nehmen Sie das Projekt Euro – es führt heute mindestens zu so viel Spaltung wie Einheit. Auch auf die Flüchtlingsfrage waren wir nicht vorbereitet. Es gibt eben in der Politik, die für Öffnung und liberale Werte steht, auch eine Geschichte des Versagens und des Scheiterns. Gerade wenn man wie ich diese Haltung und diese Werte für richtig hält, muss man die Fehler genauso wie die Lehren, die wir daraus ziehen, benennen. Das haben wir noch nicht richtig begonnen.
Das heißt, eine wesentliche Ursache der aktuellen politischen Krise liegt in der Finanzkrise und Globalisierung?
Röttgen: In allen westlichen Staaten haben viele Menschen das Gefühl, sozial-kulturell und/oder wirtschaftlich bedroht zu sein. Sie haben das Gefühl, ausgeliefert zu sein, dass es keinen Halt mehr gibt. Dass weder Staaten, noch Grenzen, noch Institutionen sie beschützen. Das erzeugt Angst und das Bedürfnis nach etwas Gegenläufigem, wo man wieder Halt findet. Deshalb erleben wir derzeit eine Rückkehr des Nationalismus und der Abschottung. Der Brexit steht dafür, sich auf einer Insel abschotten zu wollen. Auf diese Krise müssen wir erst die richtigen Antworten finden.
Wie tief steckt Europa in der Krise?
Röttgen: Europa ist zweifellos in der größten und schwersten Krise seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Diese Krise ist geprägt durch Staatsegoismus und Nationalismus. Das bedroht die Grundfesten Europas, denn das Fundament Europas ist die Solidarität.
Außenpolitisch wächst die Hoffnung, dass Trump als nächster US-PräsiHerr dent deutlich gemäßigter auftritt als im Wahlkampf. Schwindet langsam die internationale Verunsicherung?
Röttgen: Noch bleibt Donald Trump ein Unsicherheitsfaktor für die internationale Politik. Zum ersten Mal weiß die internationale Gemeinschaft nicht, für welche Außenpolitik der mächtigste Mann der Welt steht. Seine Ankündigung, das transpazifische Handelsabkommen TPP aufzukündigen, ist ein erster Schritt des Rückzugs der USA. Trump lässt damit Amerikas Verbündete in der pazifischen Region hängen – zur Freude Chinas. Wir sehen aber auch, dass Trump sich an viele Wahlkampfaussagen nicht gebunden fühlt. Darum besteht die Hoffnung, dass es im Verhältnis zur Nato und zu Europa ein beachtliches Maß an Kontinuität geben könnte.
Ist das Prinzip Hoffnung nicht naiv, dass Trump nun sämtliche Wahlkampfaussagen über den Haufen wirft?
Röttgen: Trump hat viele, aber nicht alle seiner haarsträubenden Aussagen abgeräumt, die er im Wahlkampf gemacht hat. Ich glaube, dass Trump bis zum Wahltag ausschließlich ein Wahlkämpfer war und dass er sich erst seit seinem Sieg wirklich mit Politik beschäftigt. Das finde ich sehr beunruhigend, wenn der mächtigste Mann der Welt erst im Augenblick seiner Wahl damit anfängt, sich auf seinen Job vorzubereiten.
Glauben Sie, dass Trump gar nicht mit einem Wahlsieg gerechnet hat?
Röttgen: Ich glaube, dass er überrascht war. Er war weder inhaltlich noch personell darauf vorbereitet. Es spricht einiges dafür, dass Trump nun versuchen wird, ein respektierter Präsident zu werden. Für das Verständnis der Person Trump ist es wichtig, sein großes Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung als Triebfeder seines Handelns zu sehen. Also nach etwas, was man nicht mit Geld kaufen kann. Eine absehbare Gefahr ist, dass Trump viele seiner Wähler enttäuschen wird, weil er viele Wahlversprechen nicht halten kann. Entscheidend wird sein, wie Trump mit dieser absehbaren Enttäuschung umgehen wird.
Viele vergleichen die Wahl Trumps mit Ronald Reagan, der ebenfalls mit einem schlechten Image ins Amt kam …
Röttgen: Ich halte diesen Vergleich für vollkommen falsch. Reagan war nicht nur ein Schauspieler, sondern der Gouverneur von Kalifornien, des bevölkerungsstärksten Bundesstaats der USA. Er startete mit wichtiger politischer Erfahrung und hatte ein klares Programm, vor allem in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Das ist ein Riesenunterschied zu Trump.
Im Kreml wird Trumps Sieg gefeiert. Wie groß ist die Gefahr, dass Russlands Präsident Wladimir Putin einen Keil zwischen Europa und die USA treibt, um den Westen zu schwächen?
Röttgen: Putin bemüht sich schon lange, den Westen zu spalten. Denn die Einheit des Westens ist unsere größte Stärke. Bislang dachte und versuchte Putin, er könne den Westen auf der europäischen Seite schwächen. Jetzt hofft er, ihn von Amerika her zu spalten. Die größte Sorge, die wir als Europäer haben müssen, ist Russland. Wenn es zu einer neuen amerikanisch-russischen Männerfreundschaft vor allem auf Kosten osteuropäischer Sicherheitsinteressen kommt, dann sind wir unmittelbar betroffen. Das ist mit Blick auf Trump die größte bislang noch nicht ausgeräumte Sorge, die wir in Europa haben müssen.
In all diesen Krisen hat die „New York Times“Kanzlerin Angela Merkel zur „letzten Verteidigerin des liberalen Westens“ausgerufen. Kann Deutschland die im Ausland gestiegenen Erwartungen überhaupt erfüllen?
Röttgen: Die deutsche Verantwortung ist groß und sie wird größer, je mehr die Welt um uns herum ins Rutschen gerät. Wir müssen aber überzogenen Erwartungen im Ausland entgegentreten, weil das ein völlig unrealistischer Anspruch an Deutschland ist. Gleichzeitig müssen wir uns im Inland klarmachen, dass wir im eigenen Interesse ein bisher nicht gekanntes Maß an internationaler Verantwortung haben. Unsere wichtigsten Interessen sind Frieden, Stabilität und Sicherheit. Dies zu garantieren, nehmen uns nicht mehr alleine die Amerikaner wie zu Zeiten des Kalten Kriegs ab. Wir sind gewissermaßen erwachsen geworden und müssen wie Erwachsene handeln, also verantwortlich.
Sie haben für Wirbel gesorgt, als Sie im US-Fernsehen vorab Merkels Kanzlerkandidatur ausgerufen haben …
Röttgen: Ich habe nur etwas ausgesprochen, was alle wussten und dachten, um in der amerikanischen Öffentlichkeit zu vermitteln, dass wir um unsere Verantwortung wissen – mit der Kanzlerin an der Spitze. Dass das einen solchen Sturm im Wasserglas auslöst, hat mich überrascht. Aber es war nur ein kurzer Sturm, der sich schnell verflüchtigt hat. Interview: Michael Pohl O
Zur Person Norbert Röttgen ist seit 2014 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Der nord rhein westfälische CDU Politiker war von 2009 bis 2012 Bundesumweltminis ter. Der 51 Jährige verlor das Minister amt als Folge seiner Wahlniederlage als CDU Spitzenkandidat in NRW.
„Europa ist zweifellos in der größten und schwersten Krise seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft.“Der CDU Politiker Norbert Röttgen