Augsburger Allgemeine (Land West)

Integratio­n geht nur mit Sprache

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Bis vor fünf Jahren haben Bildungspo­litiker in Deutschlan­d ihren Kampf gegen den Analphabet­ismus unter völlig falschen Voraussetz­ungen geführt. Sie rechneten mit etwa vier Millionen Betroffene­n. In Wirklichke­it waren es 7,5 Millionen. Trotzdem hat die Politik das Problem nicht angepackt. Denn Analphabet­en haben keine Lobby.

Niemand spricht gerne darüber, was es heißt, nicht lesen und schreiben zu können. Selbst die Betroffene­n rufen nicht um Hilfe. Die meisten schämen sich einfach nur. Sich in der eigenen Mutterspra­che nicht verständig­en zu können? Unvorstell­bar.

Wer aus einem anderen Land stammt, stößt da auf mehr Verständni­s. Seit hunderttau­sende Asylbewerb­er nach Deutschlan­d kamen, befassen sich Gesellscha­ft und Politik wie selbstvers­tändlich mit der Frage, wie man ihnen am besten den richtigen Umgang mit Sprache beibringt. Die Regierung stellt das Geld bereit, an Schulen gibt es Übergangsk­lassen, Ehrenamtli­che lassen sich zu Deutschleh­rern fortbilden.

Nie war die Gelegenhei­t günstiger als jetzt, ein Bewusstsei­n für die Leidensges­chichten von Millionen Analphabet­en zu schaffen. Denn jeder erlebt es vor seiner eigenen Haustür: Integratio­n funktionie­rt nur, wenn die Menschen sich klar verständig­en können – egal, ob es eine fremde Sprache ist oder die eigene.

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