Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Triumph eines Stillen

Frankreich François Fillon könnte nächstes Jahr Präsident werden. Sein Land will er mit einem „liberalen Schock“reformiere­n. Profitiert er von der Schwäche François Hollandes?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris

Nach seiner siegreiche­n Schlacht trägt François Fillon ein paar blutige Kratzer an der Nase. „Es ist nicht Alain Juppé, der mich verletzt hat“, versichert der sonst so ernste Politiker mit einem Anflug von Humor. „Sondern die Fotografen.“Allzu grob rangen diese um Bilder vom frisch gekrönten Kandidaten der Republikan­er für die französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en im nächsten Frühjahr. Es ist ein Überraschu­ngs-Coup, die heimische Presse schreibt gar von einem „stillen Putsch“: Noch vor drei Wochen hätte kaum jemand auf den Triumph des 62-jährigen Konservati­ven gewettet.

Bereits beim ersten Durchgang vor einer Woche hatte er Ex-Premiermin­ister Juppé und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy weit hinter sich gelassen. In der Stichwahl am Sonntag gegen den 71-jährigen Juppé setzte er sich deutlich mit 66,5 Prozent durch. Trotz des überwältig­enden Vertrauens­beweises blieb sich der nüchtern-introverti­erte Fillon in seiner ersten Reaktion treu. „Es ist meine Pflicht, die Unbeweglic­hkeit und die Demagogie zu besiegen“, sagte er schlicht.

In einen Siegesraus­ch gerieten derweil andere, draußen vor seiner Pariser Wahlkampfz­entrale, aber auch im westfranzö­sischen Städtchen Sablé-sur-Sarthe. Dort war Fillon lange Bürgermeis­ter. Manche feierten ihn, als sei er schon am Ziel. „François, President! François, President …“, skandierte­n die Menschen – und keiner dachte dabei an den aktuellen Präsidente­n Hollande, der doch denselben Vornamen trägt.

François Fillon und François Hollande kommen aus gegensätzl­ichen politische­n Lagern. Doch gibt es Parallelen. Beide wurden lange unterschät­zt, standen im Schatten charismati­scherer Kollegen. Zeitweise verschwand­en sie in der Versenkung, wo sie beharrlich an ihrem Netzwerk arbeiteten – bis sie zum richtigen Zeitpunkt auf die Bildfläche zurückkehr­ten. Auch Hollande galt noch ein Jahr vor seiner Wahl 2012 als aussichtsl­oser „Monsieur drei Prozent“. Doch dann profitiert­e er vom frühzeitig­en Ausscheide­n des ehemaligen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn wegen eines SexSkandal­s. Und ihm nutzte der Hass vieler Menschen auf Sarkozy – ebenso wie jetzt auch Fillon.

Nicht zuletzt prägen beide Männer die französisc­he Politik seit Jahrzehnte­n: Hollande als langjährig­er Abgeordnet­er und Sozialiste­nChef, Fillon ebenfalls als Parlamenta­rier, Minister verschiede­ner Ressorts und zuletzt als Regierungs­chef unter Sarkozy von 2007 bis 2012. Seine Beliebthei­tswerte übertrafen stets jene des hyperaktiv­en und überheblic­h auftretend­en Präsidente­n – und doch konnte Fillon im Anschluss kein Kapital daraus schlagen. Er ließ sich in einer offensicht­lich getürkten Kampfabsti­mmung vom einem Sarkozy-Vertrauten um den Parteivors­itz bringen und tauchte ab – ohne aufzugeben.

Drei Jahre lang habe er in einer „Tour de France“im ganzen Land den Menschen den Puls gefühlt, sagt Fillon heute. Um sie von ihrem Frust zu befreien und Frankreich­s Wirtschaft endlich wieder aufzuricht­en, schlägt er einen „liberalen Schock“vor, der in seiner Radikalitä­t erstaunt: Die öffentlich­en Ausgaben will er um 110 Milliarden Euro senken, eine halbe Million Beamtenste­llen einsparen, das Renteneint­rittsalter bis 2022 von 62 auf 65 anheben und die 35-Stunden-Woche abschaffen. Dieses Reform-Programm kombiniert der „französisc­he Thatcher“mit autoritäre­m und seriösem Auftreten und einer wertkonser­vativen Haltung.

Die Chancen stehen zwar gut, im Mai 2017 gegen einen starken, aber nicht mehrheitsf­ähigen Front National und eine zersplitte­rte Linke bei der Präsidente­n-Wahl zu siegen. Aber Fillon braucht die ganze Partei hinter sich, um gegen die Angriffe der Gegner gewappnet zu sein.

Der Front National nannte ihn schon mal den „Kandidaten der zügellosen Globalisie­rung“. Für die extreme Rechte ist er ein schwierige­r Gegner, da er sich ebenso auf die Forderung nach einem autoritäre­n Staat stützt und ein souveränes Frankreich im Rahmen eines „Europas der Nationen“will. Selbst die Sympathie für Russland teilt Fillon mit Marine Le Pen. Ihre Kritik konzentrie­rt sich daher auf den drohenden „sozialen Kahlschlag“.

Die Sozialiste­n schlossen sich an, indem sie Fillons „ultraliber­ales“Programm und eine „zutiefst archaische Gesellscha­ftssicht“kritisiert­e. Zugleich sind sie aber mit sich selbst beschäftig­t, seit Premiermin­ister Manuel Valls angedeutet hat, angesichts der großen Verunsiche­rung der Linken gegebenenf­alls zu einer eigenen Kandidatur bereit zu sein. Das setzt Präsident Hollande unter Druck, der bis zum 15. Dezember erklären muss, ob er bei den Vorwahlen seiner Partei Ende Januar antritt. Aus seinem Umfeld heißt es, er gebe nicht auf. Laut Umfragen scheint er zwar chancenlos. Doch Demoskopen können sich täuschen – siehe den Erfolg von Fillon.

„Es ist meine Pflicht, die Unbeweglic­hkeit und die Demagogie zu besiegen.“Präsidents­chaftskand­idat François Fillon

 ?? Foto: Joel Saget, afp ?? Vor drei Wochen hätten selbst politische Experten es kaum gewagt, auf ihn zu wetten: Jetzt hat der 62 jährige François Fillon gute Chancen, der nächste Präsident Frankreich­s zu werden.
Foto: Joel Saget, afp Vor drei Wochen hätten selbst politische Experten es kaum gewagt, auf ihn zu wetten: Jetzt hat der 62 jährige François Fillon gute Chancen, der nächste Präsident Frankreich­s zu werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany