Augsburger Allgemeine (Land West)
Hinter dem Rücken der Kandidaten
Österreich Wie SPÖ-Kanzler Kern vor der Bundespräsidentenwahl die FPÖ wieder hoffähig macht
Wien
Österreich im Wahlkampffieber. Am kommenden Sonntag wird endgültig der neue Bundespräsident gewählt. Die Nervosität steigt, vorgestern Abend saßen sich die beiden Kandidaten Alexander Van der Bellen (Grüne) und Norbert Hofer (FPÖ) im karg ausgestatteten Studio des Privatsenders ATV zum wiederholten Male (das letzte Duell zeigt am Donnerstag der ORF) gegenüber, ohne allerdings „große Schrammen“zu erleiden, wie der Wiener Standard hernach diagnostizierte.
Politisch höhere Wellen schlug ein öffentliches Streitgespräch von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) mit FPÖ-Chef Heinz Christian Strache drei Tage zuvor. Die FPÖ durch Charme und Großzügigkeit zu entzaubern – das sei das Ziel Kerns gewesen. Das zumindest behaupten dessen politische Freunde. Vielleicht hat er es auch einfach nicht mehr ausgehalten, die politische Bühne monatelang Van der Bellen und Hofer zu überlassen.
Beobachter glauben jedenfalls, dass das Treffen dem auch von SPÖ und ÖVP unterstützten Van der Bellen den Sieg kosten könnte. Denn während dessen Anhänger den rechtsradikalen Gegenkandidaten Hofer als Schaden für Österreich darstellen, mache der Kanzler die FPÖ hoffähig: „Ich respektiere es, dass es Herrn Strache auch darum geht, das Land voranzubringen“, sagte Kern. Er fügte jedoch hinzu, dass ihn und Strache „mittlere Welten“trennen.
Kern forciert damit den Enttabuisierungsprozess, der mit der Koalition zwischen SPÖ und FPÖ im Burgenland 2015 eingeleitet worden ist. In der SPÖ existiert seit 1986 ein formeller Parteitagsbeschluss, der eine Koalition mit einer rechtspopulistischen FPÖ „auf allen politischen Ebenen ausschließt“. Doch an ihn halten sich die Parteigliederungen schon längst nicht mehr.
Um der Realität einen geregelten Rahmen zu geben, soll eine SPÖArbeitsgruppe bis Mai einen Kriterienkatalog für künftige Koalitionen erarbeiten. Das Bekenntnis zur Europäischen Union, zum Wohlfahrtsstaat, zur Gleichbehandlung und zum Schutz von Minderheiten sollten darin enthalten sein.
Die Debatte könnte schon kurz nach der Bundespräsidentenwahl überholt sein. Gerüchte kursieren, wonach danach die gegenwärtig regierende Große Koalition von SPÖ und der konservativen ÖVP platzen wird. Ganz konkrete Termine für Neuwahlen werden bereits lanciert.
Vor diesem Hintergrund muss die Aufregung um das Streitgespräch gesehen werden. Die SPÖ versucht, die FPÖ mit einem Kuschelkurs zu entzaubern. Schließlich haben alle Konfrontationen der Vergangenheit die abtrünnigen Wähler nicht zurückgeholt, sondern nur weiter in die Arme der Blauen getrieben. Durch die Diskussion mit dem FPÖ-Chef will Kern signalisieren, dass er die Wahlentscheidung der FPÖ-Wähler ernst nimmt. Zugleich soll sich die FPÖ nicht weiter als Opfer stilisieren können.
Und noch etwas könnte eine strategische Rolle spielen: Die ÖVP hat sich im Bundespräsidentenwahlkampf für Van der Bellens proeuropäische Haltung erwärmt. Gut möglich, dass die SPÖ deshalb ein schwarz-grünes Bündnis kommen sah und deshalb die eigenen Optionen in Richtung FPÖ erweitern wollte.