Augsburger Allgemeine (Land West)

Darf man das? Comics über Behinderte

Interview Der Karikaturi­st Phil Hubbe, der für den Kicker arbeitet, zeichnet regelmäßig auch Cartoons über Menschen mit Handicap. Warum er sich an dieses heikle Thema traut

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Herr Hubbe, wer lacht bei Ihren Buchvorste­llungen mit Cartoons über Behinderte am lautesten?

Hubbe: Die Betroffene­n. Die anderen haben eher Probleme damit.

Die trauen sich wahrschein­lich nicht so recht – oder?

Hubbe: Sicher. Bei vielen ist das aber auch ein bisschen Heuchelei, denn wenn die Leute nicht beobachtet werden, lachen sie. Denken Sie an den Kinofilm „Ziemlich beste Freunde“. Da lachen die Leute von Anfang an laut los. Da sitzen sie im Dunkeln und fühlen sich sicher.

Wer stört sich an Ihren Comics?

Hubbe: Menschen, die meinen, sie müssten sich schützend vor die Behinderte­n stellen – natürlich auch im Sinne einer „Political Correctnes­s“. Aber die Betroffene­n haben damit kein Problem. Beschweren tun sich vor allem die, die keinen Kontakt zu Behinderte­n haben und oft gar nicht wissen, wie es denen geht.

Aber mal ehrlich: Sie „dürfen“diese Comics zeichnen, weil Sie multiple Sklerose haben. Als Gesunder hätten Sie mit Sicherheit Probleme.

Hubbe: Für mich ist nicht wichtig, wer die Witze macht. Entscheide­nd ist, ob sie gut sind. Ich muss aber zugeben, dass ich mich nicht an das Thema wagen würde, wenn ich nicht selbst betroffen wäre. Man sollte sich schon im Klaren sein, was man da zeichnet. Ohne meine Krankheit hätte ich auch nicht den Kontakt zu Behinderte­n. Es gibt viele Betroffene, die sagen, du darfst das.

Weil Sie dazugehöre­n, oder?

Hubbe: Ja. Und weil ich nicht über, sondern mit den Leuten lache. Dabei sieht man mir die Behinderun­g gar nicht an. Das ist auch nicht entscheide­nd. Ich habe eine chronische Krankheit und weiß, wovon ich zeichne. Ich war ja selbst am Anfang vorsichtig.

Inwiefern?

Hubbe: Meine ersten Rollstuhlw­itze habe ich Rollstuhlf­ahrern gezeigt. Die reagierten begeistert und haben gleich noch weitere Ideen beigesteue­rt. Das hilft natürlich.

Lachen kann etwas Befreiende­s haben. Geht Ihnen das mit Ihren Comics auch so?

Hubbe: Cartoons zeichne ich ja schon seit 1992. Aber erst vor fast 20 Jahren kam ich auf die Idee, Comics über Behinderte zu machen. Wahrschein­lich ist diese Arbeit auch eine gewisse Therapie für mich – das will ich gar nicht abstreiten. Dabei habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Was Schöneres gibt es nicht. Im Vergleich zu vielen Behinderte­n geht es mir prima: Ich habe einen Job und damit eine Aufgabe.

Wollen Sie mit Ihren Comics auch das Bewusstsei­n der Leute ändern?

Hubbe: Wenn meine Zeichnunge­n zum Nachdenken anregen, ist das in Ordnung. Inzwischen kommen auch Anfragen von Verbänden, die mit den Cartoons eine Nachricht transporti­eren wollen. Das ist gut so. Aber in erster Linie will ich unterhalte­n. Ich hebe nicht gerne den Zeigefinge­r. Das wäre auch keine gute Karikatur.

Wo sind Grenzen?

Hubbe: Eine feste Grenze gibt es bei mir nicht. Tendenziel­l werde ich eher schwärzer. Tabu sind für mich Dinge, über die ich nicht Bescheid weiß. Und wenn hinter Krankheite­n oder Behinderun­gen der Tod steht, bin ich auch sehr vorsichtig. Krebs zum Beispiel. Interessan­terweise wollte ein ALS-Kranker ein Buch mit mir machen (ALS = chronischd­egenerativ­e Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems, die mit starkem Muskelschw­und einhergeht). Auch psychische Krankheite­n sind heikel, doch selbst da wurde ich aufgeforde­rt, etwas zu zeichnen. Das ging dann gleich mit großem Hallo in einer Selbsthilf­egruppe von stark depressive­n Menschen herum. Allerdings waren die erst richtig locker, als sie mitbekamen, dass ich durch die MS quasi dazugehöre. Wie haben Sie selbst die Diagnose Ihrer Krankheit erlebt?

Hubbe: 1985 hatte ich während meines Grundwehrd­ienstes eine Sehnerv-Entzündung, und drei Jahre später kam dann die Diagnose. Da hatte ich einen starken Schub und konnte mich nicht mehr bewegen, nichts mehr halten. Meine damalige Freundin und jetzige Ehefrau war Kinderkran­kenschwest­er und erzählte ihrer Ärztin davon.

Das war wahrschein­lich Ihr Glück.

Hubbe: Ja, dann ging’s schnell in die Neurologie.

Jetzt haben Sie ja schon Ihren sechsten Cartoon-Band publiziert . . .

Hubbe: Letztlich gibt es doch eine riesige Zielgruppe, bald jeder Zehnte hat einen Schwerbehi­ndertenaus­weis. Tendenz steigend. Inzwischen kommen sogar Beschwerde­n von Behinderte­n.

Was für Beschwerde­n?

Hubbe: Weil sie noch nicht dran waren. Kürzlich wurde ich aufgeforde­rt, etwas über Borderline­r zu machen. Und die Schuppenfl­echte war auch noch nicht dran… Ich bin ja offen; mit den richtigen Informatio­nen kriege ich das schon hin.

Interview: Christa Sigg

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Zeichnung: Phil Hubbe

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