Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Mann, dem die Kühe vertrauen
Tiere Bauer und Rind sprechen nicht immer dieselbe Sprache. Der „Kuhflüsterer“Phillip Wenz weiß, wie sich Stress auf beiden Seiten vermeiden lässt. Auf der Weide zeigt er, wie das geht
Phillip Wenz hat einen außergewöhnlichen Job. Von der Bezeichnung „Kuhflüsterer“hält er aber reichlich wenig. „Das würde ja implizieren, dass ich flüstere“, sagt er. Aber wenn Wenz mit Kühen kommuniziert, dann ist es meist ganz still. „Ich schweige“, sagt Wenz. Ganz ruhig läuft er neben ihnen her, den Mund verschlossen, die Hände in der Hose. „Rumgefuchtel macht die Tiere nervös“, sagt er.
Philipp Wenz zeigt Rinderhaltern, wie sie sicher und stressfrei mit ihren Tieren umgehen. Denn das Verhältnis von Mensch und Rind liegt seiner Meinung nach oft im Argen: Zu große Betriebe, zu viele Kühe in zu kleinen Ställen, mehr Technik, gestresste Menschen, die die Tiere nicht verstehen – und andersrum.
Wenz sagt: „Bei aller Sensortechnik und Automatisierung im Stall zeichnet die erfolgreichen Betriebe aus, dass sie einen Blick fürs Tier haben.“Die Halter müssten sich die Eigenarten der Tiere zunutze machen und den Tieren die Zeit geben, die sie brauchen. Dadurch werde die Arbeit einfacher und effektiver – und auch sicherer: Jährlich verzeichnet die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau etwa 8000 meldepflichtige Unfälle mit Rindern, etwa 10 davon sind tödlich. „Es passiert immer wieder, dass Landwirte zerquetscht werden“, sagt Wenz.
Der 47-Jährige steht im badenwürttembergischen Jungingen bei Hechingen in einem Seminarraum vor 20 Landwirten. Auf einer Schreibtafel neben sich hat er eine Kuh skizziert, sie ist von Strichen, Kreisen und Pfeilen umgeben. Daneben stehen Begriffe wie „Neutrale Zone“, oder „Bewegungszone“. „Passen sie Ihre Geschwindigkeit den Tieren an“, rät Wenz.
Wenz zeigt verblichene Filmaufnahmen von Cowboys, die neben Kühen stehen und von Kühen, die wie von Geisterhand bereitwillig in den Stall marschieren. Seine Methode hat der Landwirt in den USA gelernt. Er bietet mittlerweile Schulungen in Deutschland an, in der Schweiz und den Niederlanden. Sein Prinzip ist simpel: Kommt der Mensch der Kuh zu nah, bewegt er sich in ihre Komfortzone. Dann geht die Kuh weg. Nur über seine Position zum Tier und seine Geschwindigkeit kontrolliert Wenz die Rinder. So lassen sie sich stressarm in den Stall treiben, zum Klauenschneiden oder zum Melken. Das klappt auch bei anderen Tieren: Er habe schon mit Schafen und Alpakas, Gänsen und Truthühnern gearbeitet, sagt Wenz.
Am späten Nachmittag steht Wenz auf der Weide. Ein paar Dutzend Aberdeenrinder entspannen sich auf einem saftig-grünen Hügel. Wenz tritt durch das Gatter auf die Weide. „Der erste Eindruck ist sehr wichtig“, sagt er und läuft langsam im Zick-Zack-Kurs auf die Rinder zu. Manche werden unruhig, andere neugierig. Sie verlieren Wenz nicht aus den Augen. Der Landwirt schiebt die Herde allein durch seine Präsenz gemächlich vor sich her. Dennoch brechen immer wieder Tiere aus dem Verbund aus. Wenz bleibt geduldig.
Benjamin Junck, dem die Angusrinder gehören, sagt: „Ich locke sie normalerweise über Stimme, Brot und Leckerli.“Besonders das Jungrind Björk sei sehr störrisch. „Wenn er die kriegt, bin ich überzeugt“, sagt Junck und lacht. Nach ungefähr zwei Stunden hat Wenz die Herde im Griff. Es ist ziemlich ruhig, als er sie ins kleine Gatter treibt, nur vereinzelt muht eine Kuh. Auch Björk ist nun eingesperrt. Bauer Junck ist beeindruckt. Nico Pointner, dpa