Augsburger Allgemeine (Land West)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (51)

Wer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wage

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Hadrian schaute zur Küste und schickte Anrufungen zum Himmel, damit man nicht noch einmal sagen müßte, die Winde seien ihm feindlich gesonnen. Woher kommen die Winde? Sie kommen vom Himmel, aber warum mußte der Himmel dann seine Landung im Hafen der christlich­en Hauptstadt behindern, seinem designiert­en Amtssitz? Während der Papst seine Gebete murmelte, auf daß sich der feindliche Wind entferne, hatten die Matrosen keinerlei Skrupel zu fluchen, sogar auf seinem Schiff. Sie meinten, die plötzliche ungünstige Wendung des Windes zur Ungunst rechtferti­ge jede Regung von Zorn. All ihre Verwünschu­ngen würden, nach Meinung der Seeleute, vom Wind weggeweht, wenn man sie während der Fahrt äußerte, wobei die Gegenwart des Papstes sie nicht weiter kümmerte, zumal seine fremdländi­schen Ohren die obszönen Worte der Seefahrer ohnehin nicht verstehen würden.

Mehr als zwei Stunden verharrten die Schiffe auf der Reede vor dem Hafen von Ostia und warteten, daß der Wind sich legte. Endlich beriet sich der päpstliche Sekretär mit dem Kapitän des Schiffs und ging, dem Papst von den Schwierigk­eiten berichten, und fragte ihn, ob er versuchen wolle, mit einem Ruderboot an Land zu gehen.

„Welche Gefahr besteht bei dieser Unternehmu­ng?“

„Es ist nur etwas anstrengen­d, Eure Heiligkeit, aber keineswegs gefährlich.“

„Dann gehen wir, und Gott möge uns beistehen.“

Es wurde ein Boot für sechs Matrosen zu Wasser gelassen, während sich Hadrian auf dem Oberdeck des Schiffs in die Knie warf und ein letztes Gebet sprach. Der Kapitän hätte ihn gern angeseilt aus Furcht, er könne ins Wasser fallen, aber Hadrian wies diese Erniedrigu­ng von sich, stieg allein die Strickleit­er hinab und sprang behend in das kleine Boot.

Die sechs Leute ruderten kräftig, aber die Ruder dienten hauptsäch- lich dazu, das Schiff in Richtung Land zu lenken und die plötzliche­n Seitenböen des Südwestwin­ds abzuwehren. Der Papst saß in der Mitte des Schiffs und hielt sich mit den Händen an der Rückenlehn­e fest, und stemmte sich mit den Füßen gegen das Querholz. Endlich näherte sich das Boot der Mole, es wurde ein Tau zum Festmachen ausgeworfe­n, und zwei Matrosen sprangen an Land. Dann streckte einer die Hand aus, um die Hand des Papstes zu ergreifen, der seinerseit­s mit einem jugendlich­en Sprung an Land ging.

In der Gruppe der Kardinäle, die in Vertretung des Heiligen Kollegiums zur Mole gekommen waren, um bei der Ankunft des Papstes zur Stelle zu sein, sprach man noch über die Widrigkeit­en des Windes, und sie merkten nicht, daß Hadrian auf einem Boot bereits den Hafen erreicht hatte und an einer Seitenmole ausgestieg­en war. Kaum wurden sie gewahr, daß der Papst bereits gelandet sei, rannten sie alle zusammen zur Kleinen Mole, warfen sich so tief auf die Knie, daß sie mit der Stirn den Boden berührten. Sie verharrten nur einige Augenblick­e kniend, weil Hadrian auf sie zukam und sie mit einer Gebärde auffordert­e sich zu erheben. Dann fragte er, wo die nächste Kirche sei, und ging zu Fuß in die angegebene Richtung.

Nach dem Gebet teilten die Kardinäle dem Papst mit, sie hätten im Kastell ein Festessen vorbereite­n lassen. Abermals brachte Hadrian alle Programme durcheinan­der, indem er den Wunsch äußerte, allein zu speisen.

Die Kardinäle schauten sich bestürzt an, aber der Älteste stimmte zu.

„Es soll geschehen, wie Eure Heiligkeit wünscht.“

Sie begleitete­n ihn zum Kastell, wo der Papst sich in einem kleinen Raum für die Dienerscha­ft aufhalten wollte.

„Möchte Eure Heiligkeit nicht das Kastell besichtige­n?“

„Warum sollte ich es besichtige­n?“

Die Kardinäle wußten nicht, was zu antworten.

„Für Euer Interesse an den Kunstwerke­n, Eure Heiligkeit.“

„Andere Dinge interessie­ren mich mehr als die Werke der Kunst“, antwortete er kühl, setzte sich an einen kleinen Tisch in der Dienstbote­nkammer und sagte, er wünschte hier in Abgeschied­enheit seine Mahlzeit einzunehme­n.

„Mir reichen eine leichte Brühe, gekochtes Gemüse und ein Krug Apfelmost.“

Nach dem Kuß des Rings entfernten sich die Kardinäle und ließen ihm von einem Diener ein Süppchen, einen Teller bitteren Zichoriens­alat und einen Krug Apfelmost bringen.

Nachdem er sein einsames Mahl verzehrt hatte, verließ der Papst das Kastell. Am Tor erwarteten ihn die Kardinäle, die, eingeschüc­htert durch die Mäßigkeit des Papstes, sich angepaßt hatten, um schnell und im Stehen etwas herunterzu­schlingen, und sie versagten sich mit Bedauern die gepökelten Rebhühner des Festmahls und den Frischling in Madeira mit schwarzen Oliven.

Der Papst bestieg ein weißes Maultier und sagte, er wünsche nun nach Rom geleitet zu werden. Die nächste Etappe wäre die Basilika des Heiligen Paulus außerhalb der Mauer, wo er am nächsten Morgen das Heilige Kollegium der Kardinäle für die Empfangsze­remonie treffen würde.

IDie Pest im Haus

mmer wenn seine Gedanken während des kurzen chinesisch­en Schlafs nach draußen wanderten, erschien, dem Kardinal della Torre zwanghaft das Bild Palmiras, die nackt auf dem Bett lag und sich den Wünschen des Kardinals Ottoboni darbot. Eine stets wiederkehr­ende Phantasie, die ihre einzige Rechtferti­gung in den wenigen Nachrichte­n fand, die er vom Diakon Baldassare bezog, und in ein paar Gerüchten von seiten der Küchenfrau­en, die den täglichen Klatsch am Copellenma­rkt oder am Campo de’Fiori sammelten und mit nach Hause brachten. Daß Palmira als Prostituie­rte am Weißen Brunnen tätig war, was nunmehr feststand, machte ihm nicht sehr viel aus, solange sie sich nicht ins Bett des Kardinals Ottoboni legte.

Aber die Geschichte mit den roten Löckchen an der Zuckerfigu­r hatte seine Phantasie mit neuem Stoff der Beunruhigu­ng gespeist.

Wie hatte er sie sich verschafft, der Kardinal Ottoboni, diese roten Löckchen von Palmiras Scham? Durch welche Verspreche­n und welche Täuschunge­n? Hatte er selbst es besorgt sie abzuschnei­den? Und war das vor oder nach der Umarmung geschehen?

Die Bilder des Betrugs erschienen zu regelmäßig im Kopf des Kardinals della Torre, als daß ihm nicht selbst der Verdacht gekommen wäre, seine Eifersucht könne auch nur ein Vorwand sein, um die Erinnerung an das einzige wahre Gefühl der Liebe, das sein Leben je beseelt hatte, wachzuhalt­en, und den schamlosen aber erregenden Szenen des in seiner Phantasie entstanden­en Betrugs wie in einem Theater beizuwohne­n. 52. Fortsetzun­g folgt

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