Augsburger Allgemeine (Land West)
Im Rausch der Klänge
Herausragend: Steve Reich im Textilmuseum
Am Ende, wenn die Instrumente sich eines nach dem anderen zurückgezogen haben und schließlich auch die noch verbliebene Violine verklungen ist, am Ende ist es so, wie wenn man nach einer Fahrt auf hoher See zurück an Land geht: Der feste Boden unter den Füßen kommt einem unwirklich vor, man vermisst das Schaukeln, auf das der Körper sich eingestellt hat. Genauso ist es, wenn man wieder auftaucht aus Steve Reichs „Music for 18 Musicians“: Noch lange danach ist man durchpulst von diesem Stück, fühlt in sich das endlose Akkordgehämmer vibrieren, spürt die Wellen der Bassklarinetten anbranden, summt die rhythmisch und melodisch prägnanten Kürzel nach.
Was da im Textilmuseum erklang, zählt nicht nur zu den berühmtesten Stücken des im Oktober 80 Jahre alt gewordenen US-Amerikaners Steve Reich, es ist überhaupt eine der Klangikonen der Neuen Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Reich, durch sein in den 60ern entwickeltes Prinzip der Phasenverschiebung Ahnvater der Minimal Music, ging mit seiner 1976 uraufgeführten „Music for 18 Musicians“deutlich über eben diesen Minimalismus hinaus, öffnete die Tür zu einer ebenso schillernden wie pulsierenden Musiksprache, die nicht nur unmittelbar eingängig ist, sondern eine Sogkraft entfaltet, die sich sonst nur bei den Kollegen des Rock und Pop findet. Entsprechend viel Publikum wollte sich denn auch das seltene Erlebnis einer Live-Aufführung von „18“nicht entgehen lassen, sodass nicht nur die Matinee am Sonntag sehr gut besucht war, sondern zur Wiederholung am Abend sogar reihenweise Zusatzstühle hergeschafft werden mussten.
Ute Legner, Iris Lichtinger und Wolfram Oettl waren die Initiatoren dieser Doppelaufführung – alle drei auch selbst unter den „Musicians“, unter die sich weitere Instrumentalisten und Sängerinnen aus dem Umkreis von Mehr Musik! und dem Leopold Mozart Zentrum gesellt hatten. Imposant schon der Aufbau der Instrumente: vier Klaviere, mehrfach Marimbas, Xylofone, Vibrafon, dazu Bass- und normale Klarinetten, Cello, Violine – sowie vier Sängerinnen, denen nichts als Silben über die Lippen kommen. Und dann ging’s los: über eine Stunde lang ein betörend dichter, rauschhafter Teppich aus sanft klirrenden und zugleich warm strömenden Klängen, motorisch vorangetrieben von unablässigem Pochen und Schnattern. Hervorragend die rhythmische Sicherheit der vielfach jungen Instrumentalisten, der Zusammenklang der wie Lasuren übereinandergelegten Schichten.
Als ob das nicht auch für die Augen schon Performance genug gewesen wäre, gesellten sich beim Abendkonzert noch Visuals und Tanz dazu. Für beide – realisiert von Lab Binaer und einer jungen, von Ema Kawaguchi choreografierten Compagnie – galt jedoch, dass sie sich angenehm zurückhaltend an die Seite der Musik stellten. Starker Applaus am Ende für ein außergewöhnliches, bestens geglücktes Unternehmen, in dessen Nachgang man die Initiatoren nur zu einem ermuntern mag: Mehr (solche) Musik!