Augsburger Allgemeine (Land West)
Christiane Paul
Was hat diese Frau, was andere nicht haben?
Im lauten Geschäft der Film- und Fernsehbranche gehört sie zu den eher stillen Erscheinungen. Keine Skandale, keine künstlich gepushten Ich-hab-jetzt-auch-waszu-sagen-Meldungen. Und doch ist Christiane Paul dauerpräsent: Kaum eine Woche, in der im TV nicht die Wiederholung einer ihrer inzwischen dutzenden Filme liefe. Und wenn in Deutschland eine größere neue Produktion gestemmt wird, kann man fast darauf wetten, dass die gebürtige Berlinerin mit im Spiel ist – so wie eben erst wieder im Kinostreifen „Die Welt der Wunderlichs“. In welcher Rolle sie dann auch auftritt, zu übersehen ist die 42-Jährige nicht: Ihre blauen Augen haben selbst im Branchenmaßstab seltene Größe, und wenn sie lacht, dann übers ganze Gesicht.
Dabei schien für Christiane Paul zunächst eine ganz andere Karriere vorgezeichnet zu sein. Beide Eltern sind Ärzte, und nach ihrem EinserAbitur begann auch die Tochter mit dem Studium der Medizin. Doch noch zur Schulzeit war eine Model Agentur auf sie aufmerksam geworden, für viele weibliche Talente ein erster Schritt zur späteren Schauspielerkarriere. Tatsächlich erhielt sie als gerade mal 17-Jährige bereits ihre erste größere Filmrolle in der Wende-Satire „Deutschfieber“. Doch Christiane Paul verfolgte weiter konsequent ihre Ausbildung zur Ärztin, absolvierte Staatsexamen und die Promotion. Aber Fernsehen und Film ließen nicht locker, und Christiane Paul sagte nicht Nein, schon gar nicht, wenn es galt, an der Seite von Kollegen wie Götz George, Jan Josef Liefers oder Til Schweiger aufzutreten. Ein enormes Pensum, das sie sich während der ganzen 90er Jahre zumutete. Als 30-Jährige, nachdem sie die Approbation als Ärztin erhalten hatte, dann die endgültige Entscheidung. Da hatte sie längst hochgelobte Filme hinter sich wie „Das Leben ist eine Baustelle“, „Mammamia“oder „Die Welle“. Sie sah, dass sie sich schauspielerisch entwickelt hatte, dass sie die biedere Hausfrau ebenso mimen konnte wie die taffe Kriminalerin oder die Femme fatale. Da war die Konsequenz richtig, sich fortan einzig auf die Schauspielkarriere zu konzentrieren. Zumal ja auch das Private gelebt werden will. Christiane Paul hat eine Tochter und einen Sohn, ihre Ehe mit einem Chirurgen ist jedoch geschieden.
Dass Dr. med. Christiane Paul mit ihrer Entscheidung für die Schauspielerei richtig lag, hat sie inzwischen nicht nur in einer Vielzahl weiterer Rollen gezeigt. Sie hat es kürzlich auch in Form eines angesehenen Preises attestiert bekommen: Mit einem Emmy Award für ihre Darstellung einer Richterin in dem ARD-Thriller „Unterm Radar“– Zeichen dafür, dass sie inzwischen auch auf internationaler Bühne wahrgenommen wird. Bei der Preisverleihung zeigte sich, dass die Natürlichkeit, für die ihr Spiel immer wieder gerühmt wird, auch im realen Leben eine Charaktereigenschaft der Christiane Paul sein muss. Vor laufender Kamera überkamen sie Tränen – sichtlich war es diesmal keine Schauspielerei. Stefan Dosch