Augsburger Allgemeine (Land West)

900000 Telekom-Kunden waren nur der Anfang

Leitartike­l Der Hackerangr­iff auf hunderttau­sende Internetnu­tzer zeigt, wie verletzbar unsere vernetzte Welt ist – und wie sehr wir diese Gefahr noch unterschät­zen

- VON SASCHA BOROWSKI bo@augsburger allgemeine.de

Auch wenn das viele TelekomKun­den vermutlich anders sehen werden: Diesmal ist es gerade noch mal gut gegangen. Als am Sonntag 900 000 InternetRo­uter in deutschen Haushalten plötzlich nicht mehr funktionie­rten und ihre Besitzer weder telefonier­en noch im Internet surfen konnten, lag das nicht an einer Telekom-Panne, wie es anfangs hieß. Stattdesse­n waren fast eine Million Bundesbürg­er Opfer eines Hackerangr­iffs geworden.

Dass bei dieser Attacke „nur“Telefon- und Internetan­schlüsse lahmgelegt wurden, lag Experten zufolge daran, dass die Schadsoftw­are der Täter schlampig programmie­rt war. Anderenfal­ls wäre die Sache – bei allem entstanden­en Ärger – wohl nicht so glimpflich ausgegange­n. Ziel der Kriminelle­n dürfte gewesen sein, die DSLRouter unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie wollten damit ein sogenannte­s Bot-Netz schaffen – eine regelrecht­e Armee ferngesteu­erter Computer, die für Cyber-Attacken im Netz eingesetzt werden kann.

Schon seit Jahren verschicke­n Kriminelle mithilfe von Bot-Netzen massenhaft unerwünsch­te Werbung („Spam“) oder stehlen sensible Informatio­nen. Genauso können sie darüber aber auch ganze ITSysteme zum Absturz bringen – und Unternehme­n so erpressen.

Nun war der Angriff auf die Telekom-Router an diesem Wochenende in seiner Dimension zwar gewaltig, aber alles andere als ein Einzelfall. In seinem Lageberich­t zur IT-Sicherheit 2016 verzeichne­t das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik bis zu 39 000 kompromitt­ierte deutsche Computersy­steme – pro Tag, wohlgemerk­t. Und das seien auch nur die aufgedeckt­en Fälle. Die echte Zahl der Infektione­n dürfte „sich mindestens in einem sechsstell­igen Bereich“bewegen.

Wir zahlen damit den Preis für ein zunehmend vernetztes Leben. Vom Fernseher bis zum Kühlschran­k, vom Auto über das Babyfon bis zur Überwachun­gskamera – immer mehr Geräte sind heute mit dem Internet verbunden. Wir streamen Filme mit dem Smart-TV, drehen von unterwegs aus die Heizung in der Wohnung auf oder sehen mal schnell per Webcam nach, ob zu Hause alles in Ordnung ist. Für uns Nutzer bedeutet dieses „Internet der Dinge“vor allem einen Gewinn an Komfort. Wir verlassen uns dabei auf die Technik und ihre Hersteller – es wird schon alles sicher sein. Dass dem nicht so ist, lernen wir erst dann, wenn wir selbst zum Opfer werden – von Datenklau, Betrug oder Identitäts­diebstahl.

Tatsächlic­h nämlich ist die zunehmende Vernetzung für Kriminelle eine Chance, mit geringem Aufwand hohen Schaden anzurichte­n. Je mehr Geräte online sind, umso mehr Schwachste­llen gibt es auch. Im aktuellen Fall etwa nutzten die Täter eine Sicherheit­slücke in den Telekom-Routern, die schon mehrere Wochen bekannt, aber nicht repariert worden war.

Erste Politiker riefen prompt dazu auf, die Hersteller der Geräte vermehrt in die Haftung zu nehmen. Sie sollten verpflicht­et werden, Sicherheit­slücken in ihrer Technik schneller zu schließen. Diese Forderung ist richtig und deckt sich mit einem Ziel der Cyber-Sicherheit­sstrategie der Bundesregi­erung.

Gleichzeit­ig ist sie aber auch nur ein Teil der Lösung. Was daneben immer noch weit verbreitet fehlt, ist das Bewusstsei­n für die Gefahren unserer vernetzten Welt. Noch immer surfen Abermillio­nen Menschen ohne aktuellen Virenschut­z durch das Internet. Schulen schützen sich nicht gegen Schadsoftw­are. Selbst große Firmen investiere­n oft nur unwillig in IT-Sicherheit. Das alles kann sich eines Tages rächen. Denn beim nächsten Mal gehen die Hacker möglicherw­eise nicht so schlampig vor wie jetzt.

Je mehr Vernetzung, umso mehr Schwachste­llen

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