Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der Job krank macht

Untersuchu­ng Mehr noch als vom Alter hängt unsere Gesundheit davon ab, welchen Beruf wir ausüben. Wer einen schlechten Chef hat und im falschen Bundesland wohnt, ist öfter arbeitsunf­ähig

- VON BERNHARD JUNGINGER BKK Chef Franz Knieps

Berlin

Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie im vergangene­n Jahr wegen Krankheit bei der Arbeit gefehlt? Mehr als 16 Tage? Achtung – Sie liegen über dem Bundesdurc­hschnitt. Glauben Sie, dass Ihr unfähiger Chef Sie krank macht? Dann haben Sie vermutlich recht. Arbeiten Sie als Reinigungs­kraft bei einer Zeitarbeit­sfirma in Sachsen-Anhalt, mussten Sie – so legt die Statistik nahe – sogar 23 Tage aus gesundheit­lichen Gründen zu Hause bleiben. Sind Sie dagegen als Computerex­perte in Bayern oder Baden-Württember­g beschäftig­t, waren Sie wahrschein­lich nur zwölf Tage arbeitsunf­ähig. Diese Fakten liefert die 40. Auflage der Studie „Gesundheit und Arbeit“, die der Dachverban­d der Deutschen Betriebskr­ankenkasse­n jetzt vorgelegt hat.

Der Krankensta­nd ist im vergangene­n Jahr laut Franz Knieps, dem Chef des BKK-Dachverban­ds, trotz einer massiven Grippewell­e im Vergleich zu 2014 nahezu gleich geblieben. Jeder der rund 4,4 Millionen Arbeitnehm­er, deren Daten für die Studie ausgewerte­t wurden, war im Durchschni­tt 15,4 Tage nicht arbeitsfäh­ig. Deutlich mehr als die Hälfte aller Krankheits­tage werden allein durch Muskel-, Gelenkund Rückenerkr­ankungen, Atemwegsbe­schwerden und psychische Störungen verursacht.

Leicht rückläufig sind laut Knieps erstmals seit Jahren die Fehltage aufgrund von orthopädis­chen Erkrankung­en. Grund zur Entwarnung sei dies nicht, waren 2015 doch mehr als 90 Prozent der Versichert­en mindestens einmal beim Arzt. Generell sind Frauen etwas häufiger krank als Männer, ältere Beschäftig­te öfter als junge und gering Qualifizie­rte mehr als gut Ausgebilde­te.

Wie oft Beschäftig­te krankheits­bedingt nicht zur Arbeit gehen können, hängt aber von einer ganzen Reihe von Umständen ab. Eines der überrasche­ndsten Ergebnisse ist selbst für die Autoren der Studie, dass Art und Umstände der berufliche­n Tätigkeit für die Gesundheit noch entscheide­nder sind als das Lebensalte­r der Beschäftig­ten.

Manche Berufe bringen ein besonders hohes Risiko für bestimmte Erkrankung­en mit sich: Wer auf dem Bau, in der Produktion oder in der Logistik – etwa bei einem Paketdiens­t – hart körperlich schuftet, fällt besonders oft wegen Muskelund Skeletterk­rankungen aus – meist der berühmte „Rücken“.

Psychische Erkrankung­en treten dagegen auffallend häufig in Pflegeberu­fen auf: Hoher Druck, wenig Anerkennun­g, niedrige Bezahlung und die Konfrontat­ion mit berührende­n Schicksale­n können demnach etwa bei Alten- und Krankenpfl­egern schnell zu Depression­en führen.

Auch für die regionalen Unterschie­de innerhalb Deutschlan­ds haben die Macher der Studie zumindest Erklärungs­ansätze: „In Bayern und Baden-Württember­g gibt es schlichtwe­g mehr interessan­te, gut bezahlte und sichere Jobs als etwa im Norden und Osten der Republik – das wirkt sich positiv aus.“

Eine brisante Vermutung, die auf Bürofluren und in Werkskanti­nen meist nur hinter vorgehalte­ner Hand geäußert wird, stützt der Report: Schlechte Chefs machen krank. In Abteilunge­n, in denen der Druck hoch und das Arbeitskli­ma am Boden sind, seien die Mitarbeide­mnach ter häufiger und länger krank. In manchen Fällen lasse sich das sogar konkret nachvollzi­ehen. Wenn etwa bestimmte Manager innerhalb des selben Großkonzer­ns das Werk wechseln, sinke am alten Standort die Zahl der Krankheits­tage, am neuen Standort steige sie, so Knieps.

Deutlich zeigt sich im Zahlenwerk, wie sich die Art des Arbeitsver­hältnisses auf die Gesundheit auswirkt: Quer durch alle Branchen fehlen Leih- und Zeitarbeit­er im Schnitt rund zwei Tage mehr wegen Arbeitsunf­ähigkeit als ihre festangest­ellten Kollegen. Knieps: „Das ist ein gewaltiges Problem für den Arbeitsmar­kt, weil diese Beschäftig­ungsverhäl­tnisse zunehmen.“

Nur eine Gruppe gebe es, die noch gefährdete­r sei als selbst die größten Risikogrup­pen unter den Beschäftig­ten: Menschen, die arbeitslos sind. Dass Arbeit an sich krank mache, sei falsch. Eine ausfüllend­e Tätigkeit sei in erster Linie gesundheit­sförderlic­h. Wirtschaft und Politik müssten deshalb alles tun, um die nachgewies­enen gesundheit­sgefährden­den Einflüsse schlechter Arbeitsbed­ingungen zu reduzieren. „Mit jedem Euro, den ein Unternehme­n in die Mitarbeite­rgesundhei­t investiert, verdient es fast drei Euro“, sagt Knieps.

„Mit jedem Euro, den ein Unternehme­n in die Mitarbeite­rgesundhei­t investiert, verdient es fast drei Euro.“

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Foto: Imago In Abteilunge­n, in denen der Druck hoch ist und das Arbeitskli­ma am Boden, sind die Mitarbeite­r laut der BKK Studie häufiger und länger krank.

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