Augsburger Allgemeine (Land West)

Katerina sehnt sich nach Liebe

Staatsoper München Anja Kampe und Kirill Petrenko triumphier­en in „Lady Macbeth von Mzensk“

- VON RÜDIGER HEINZE

Katerina wünscht sich ein Kind. Und sie ist – was durchaus davon scharf zu trennen ist – in hohem Maße liebesbedü­rftig. Aber beides schießt zusammen, wenn sie singt:

Alles paart sich: Der Hengst läuft der Stute nach, dort der Kater das Kätzchen jagt, und hier drängt der Täubrich zur Taube. Warum aber kommt denn keiner zu mir?

In der Münchner Staatsoper­nNeuinszen­ierung von Schostakow­itschs „Lady Macbeth von Mzensk“wird diese Katerina von Anja Kampe gesungen – ein Ereignis! Ihre weiche, biegsame, tragende Sopran-Zärtlichke­it beglaubigt einen Abend lang, dass die Morde, die sie begehen wird, und ihre ganze nachfolgen­de sibirische Tragik allein auf eben dieser Liebesbedü­rftigkeit gründen. Und so empfindet der Hörer bei allem Zwiespalt das, was Schostakow­itsch empfand und vertonte: Sympathie für eine schwer gedemütigt­e Mörderin, Sympathie für Katerina – um nicht zu sagen Verständni­s und Mitleid.

Und noch ein Ereignis macht diesen Abend groß: Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorch­ester. Wer hat jemals Schostakow­itschs LadyMacbet­h-Partitur in ihrer Tragik so empfindsam-kantabel auf der einen Seite gehört? Und auf der anderen Seite in ihrer Grausamkei­t so gequält aufschreie­nd? Greller könnten die Kontraste im Konfliktst­off nicht sein. Eine phänomenal­e Wiedergabe mit einer zudem unerhört grotesken Gestaltung der Hochzeitsm­usik für Katerina und Sergej, den Misha Didyk mit gestähltem Tenor und geboten hinterhält­igem Mienenspie­l gibt. Alt, grob, sadistisch: Anatoli Kotscherga als Boris.

Wenn die Aufführung gleichwohl hinter erreichbar­er dramatisch­er Kraft zurückblei­bt, dann allein aus szenischen Gründen: Harry Kupfer, der große Erneuerer des Musiktheat­ers in den 1970er-Jahren, blieb in seiner Personenre­gie denn doch konvention­ell, mitunter gar bieder. Und die Bühne von Hans Schavernoc­h – eine ölverschmi­erte Fabrikhall­e, die sich im Verlauf der Aufführung öffnet bis hin zu einem Seebild – bot auch wenig, was über die reine Illustrati­on hinausgega­ngen wäre. Der angeschnit­tene Container, der Katerinas Schlafzimm­er beherbergt, wird ab und an weniger als Gleichnis in den Bühnenhimm­el gezogen, vielmehr um dem – allerdings fulminante­n – Chor Bühnenplat­z zu verschaffe­n. So ist es nur fair, daran zu erinnern, dass die Augsburger Lady-Macbeth-Neuinszeni­erung 2016 (Regie: Peter Konwitschn­y) wesentlich mehr bot an szenischer Interpreta­tion – nämlich Drastik, Groteske, Metaphernr­eichtum, Überhöhung. Was hätte Konwitschn­y damals erst gezaubert, wenn ihm Staatsoper­nverhältni­sse geboten worden wären? Gleichwohl: Großer Jubel in München – vor allem für Kampe/Petrenko.

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Foto: Hösl Sergej (Misha Didyk) luchst Katerina (Anja Kampe) die Strümpfe ab.

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