Augsburger Allgemeine (Land West)
„Die Mannschaft ist ausgelöscht“
Unglück Bei einem Flugzeugabsturz in Kolumbien sterben 71 Menschen. Unter den Opfern sind Spieler eines brasilianischen Fußballteams. Sie hatten von einem großen Erfolg geträumt
Bogotá
Ganz leise singen die Fans das Lied, das jeder brasilianische Fußballfan so verinnerlicht hat: „Ich bin Brasilianer, voller Stolz“. Diesmal fügen sie noch den Namen ihres Klubs hinzu: Chapecoense. Normalerweise brüllen sie diesen Song, doch die Trauer schnürt den meisten Anhängern die Kehle zu. Die Szenen, die sich wenige Stunden nach dem Absturz eines Charterfliegers auf dem Landeanflug in der kolumbianischen Metropole Medellin abspielen, sind gespenstisch.
Die Fans in Brasilien trauern um ihre Mannschaft, die rund sechs Flugstunden entfernt in den Bergen um Medellin mit dem Flugzeug verunglückte. 71 Menschen starben, darunter 19 Spieler von Chapecoense. Nun treffen sich deren Fans vor dem Klubhaus und beim Stadion.
In Chapecó, einer Provinzstadt im Westen des brasilianischen Bundesstaats Santa Catarina, hatte man sich auf den größten Tag der Vereinsgeschichte gefreut: Erstmals hat der Klub das Finale eines internationalen Wettbewerbs erreicht, der mit der Europa League ist. Chapecoense hat nicht die Strahlkraft wie die großen Vereine aus Rio de Janeiro oder São Paulo, dafür eine treue Fangemeinde.
Gastgeber wäre Atlético Nacional aus Medellin gewesen. Die aktuell beste Klubmannschaft des Kontinents, Gewinner der südamerikanischen Champions League, wollte ebenfalls Geschichte schreiben. Mit Trainer Reinaldo Rueda wollten sie auch das zweite südamerikanische Klubfinale innerhalb eines Jahres gewinnen. Und in zwei Wochen bei der Klub-Weltmeisterschaft in Japan Real Madrid vom Thron stoßen. „Ich bin am Boden zerstört. Meine Gedanken und Gebete sind bei den Angehörigen der Spieler von Chapecoense“, sagt Rueda.
Auch Paulo Rink ist entsetzt. „Ich habe viele Spieler persönlich gekannt“, sagt der deutsche Nationalspieler, der in Brasilien geboren wurde, im Gespräch mit unserer Zeitung. Er war Mitte der 90er Jahre Torjäger des Klubs. „Ein kleiner, aber sehr herzlicher Klub, der mir die Chance gegeben hat, mich zu beweisen.“Von Chapecoense ging es nach Leverkusen und später, mit einem deutschen Pass, bis in die Nationalmannschaft. „Ich weiß nicht, wie es mit Chapecoense weitergehen soll“, sagt Rink. „Die Mannschaft ist ja praktisch ausgelöscht“.
Der südamerikanische Fußballverband Conmebol sagte das Finale ab. Atlético Nacional schlug vor, den Titel 2016 Chapecoense zuzuvergleichbar sprechen. Brasilianische Erstligateams wollen zudem Sonderrechte für den Club durchsetzen.
Wie der Direktor der kolumbianischen Luftfahrtbehörde, Alfredo Bocanegra, sagte, könnte das Charterflugzeug vom Typ Avro RJ85 der bolivianischen Gesellschaft Lamia wegen Treibstoffmangels abgestürzt sein. Die Piloten hätten Landepriorität beantragt. Bevor das Flugzeug gegen 22 Uhr (Ortszeit) am Montag vom Radar verschwand, hatten sie technische Probleme gemeldet.
Nach Angaben der Luftfahrtbehörde überlebten sechs Menschen das Unglück: drei Spieler, zwei Crewmitglieder und ein Journalist. Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde vom Dienstagabend unserer Zeit sind nicht 81, sondern nur 77 Passagiere an Bord gewesen. Vier Personen, darunter der Bürgermeister der Stadt Chapecó, hätten die Reise nicht wie erwartet angetreten. Alle Leichen seien inzwischen geborgen, die beiden für die Ursachensuche wichtigen Blackboxes gefunden worden. In Brasilien wurde eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.