Augsburger Allgemeine (Land West)

Missbrauch in Englands Fußball

Profis brechen ihr Schweigen. Skandal erschütter­t das Land

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Eigentlich ist das Thema Kindesmiss­brauch in britischen Medien kein Tabu. Beinahe wöchentlic­h prangt das Wort „Paedo“– eine Abkürzung für Pädophiler – auf der Titelseite einer der großen Boulevardz­eitungen. Meist geht es dabei aber um kaum mehr als die Lust am Gruseln. Täter und Opfer werden in die Öffentlich­keit gezerrt wie bizarre Wesen aus einer fremden Welt. Doch seit einigen Tagen bestimmt das Thema die Schlagzeil­en mit einem ganz anderen Grundton. Der ehemalige Profifußba­ller Andy Woodward erzählte dem Guardian von jahrelange­m Missbrauch durch einen Jugendtrai­ner – und löste damit eine Welle von Missbrauch­svorwürfen aus. Seitdem beschleich­t die Briten die Ahnung, dass kein Kind vor sexueller Ausbeutung sicher ist. Der Vorsitzend­e des britischen Fußballver­bandes FA (Football Associatio­n), Greg Clarke, bezeichnet den Skandal als „größte Krise, an die ich mich erinnern kann“.

Woodward, inzwischen 43 Jahre alt, wurde als Kind und Jugendlich­er jahrelang von seinem Jugendtrai­ner vergewalti­gt, wie er berichtet. Übernachtu­ngen beim Coach, Trainingsc­amps und gemeinsame Fahrten im Auto wurden für ihn und andere Kinder zur Hölle auf Erden. Jahrelang traute er sich nicht einmal, mit seinen Eltern darüber zu sprechen, aus Angst, sein Traum vom Leben als Fußballpro­fi könnte zerbrechen – und aus Furcht vor dem Täter. „Ich war zu Tode verängstig­t, er hatte damals totale Kontrolle über mich“, sagte Woodward.

Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem nicht weitere ehemalige Fußballpro­fis ihr Schweigen brechen. Unter Tränen berichten erwachsene Männer im Fernsehen, wie sie als Kinder teils jahrelang einem Mann ausgeliefe­rt waren, der seine sexuellen Fantasien ungehemmt an ihnen auslebte.

Der Beschuldig­te galt in den 80er und 90er Jahren als erfolgreic­her und gut vernetzter Jugendtrai­ner. Er arbeitete für den Viertligis­ten Crewe Alexandra, hatte aber auch Kontakte zu Premier-LeagueKlub­s wie Manchester City und Stoke City. Er wurde inzwischen wiederholt wegen Kindesmiss­brauchs verurteilt. Crewe Alexandra, Manchester City und die FA kündigten Untersuchu­ngen an. Auch mehrere Polizeidir­ektionen wollen Ermittlung­en aufnehmen. Besonders erschrecke­nd für die Briten ist, dass wohl ausgerechn­et ihr Lieblingss­port ideale Voraussetz­ungen für sexuelle Übergriffe bietet. Ein Männlichke­itskult, der das Opfersein tabuisiert, ein Nachwuchss­ystem, das Kinder ihren Förderern vollkommen ausliefert, und Eltern, die alle Bedenken in den Wind schießen, angesichts der Hoffnung, ihr Sprössling könnte ein Star werden.

Derweil weitet sich der Skandal aus. Woodward vermutet, dass sein Peiniger hunderte Jungen missbrauch­t haben könnte. Und es gibt Hinweise, dass er nicht der einzige Täter war. FA-Chef Clarke will nicht ausschließ­en, dass der Missbrauch innerhalb des Verbands gedeckt wurde. „Damals war es üblich, dass Organisati­onen stillhielt­en“, sagte Clarke.

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Greg Clarke

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