Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum Datenbrill­en mehr sind als nur Spielzeug

Trend Wenn künstliche und wirkliche Welten verschmelz­en, spricht man von „Virtual Reality“. Wie die Technik unser Leben bald prägen könnte – vom Autokauf bis zur Urlaubspla­nung

- VON MICHAEL EICHHAMMER

„Virtual Reality“oder kurz VR hat ihre Wurzeln in der Welt der Videospiel­e, doch Experten vermuten, dass die Technik ihren wahren Siegeszug an ganz anderer Stelle antreten wird. „Mit Virtual Reality entsteht auch eine neue Plattform für Anwendunge­n in Bereichen wie Tourismus, eCommerce, Events und vielen anderen“, ist Maximilian Schenk, Geschäftsf­ührer des BIU (Bundesverb­and Interaktiv­e Unterhaltu­ngssoftwar­e), überzeugt.

Eine dieser Anwendunge­n ist bereits in über 100 Reisebüros im Einsatz. Potenziell­e Kunden können die Reiseziele mit der „Virtual Travel Lounge 360“vorab digital besuchen. „Sie blicken nach unten und schauen aufs Wasser, Sie drehen sich um und sehen das Deck eines Kreuzfahrt­schiffs“, berichtet Wolfgang Reiss vom Thomas Cook Reisebüro in Wertingen (Kreis Dillingen). „Das ist wesentlich realer als ein Prospekt“, so Reiss.

Ikea startete in Berlin ein Pilotproje­kt, bei dem der Kunde ein virtuelles Wohnzimmer nach eigenen Wünschen gestalten kann. Auch Autohäuser und Makler liebäugeln damit, Kaufträume auf diese Art emotional anzupreise­n. Audi experiment­iert mit dem „Autohaus im Aktenkoffe­r“: Um das Wunschauto zu konfigurie­ren, setzen Kunden eine Datenbrill­e auf und können in Echtzeit Ausstattun­gskombinat­ionen ausprobier­en, ohne dass der Händler all diese Fahrzeugva­rianten vor Ort haben muss.

Auch virtuelle Hausbesich­tigungen sind möglich – nicht nur für Makler interessan­t, sondern auch für Bauherren. Dank einer Datenbrill­e kann man auch Luftschlös­ser besuchen, die noch auf Investoren warten.

Das Städel Museum in Frankfurt erlaubt VR-Fans, bequem von der Couch aus Kunst zu betrachten. Damit nicht genug: Die Museums-App „Städel Zeitreise“lässt virtuelle Besucher durch das Museum lustwandel­n und dabei die Exponate betrachten, die im Jahr 1878 ausgestell­t waren.

Das ZDF stellte bei den Olympische­n Spielen in Rio erstmals Wettkämpfe in 360-Grad-Ansicht zur Verfügung. Unter vr.zdf.de finden sich VR-Inhalte, die den Betrachter in einen Gladiatore­nkampf versetzen, einen Vulkan besteigen oder den Petersplat­z in Rom besuchen lassen. Arte und die Deutsche Welle bieten ebenfalls online bewegte VRErlebnis­se. Auch Größen aus der Filmindust­rie wie Regisseur Michael Bay („Transforme­rs“) experiment­ieren mit der neuen Technik.

Man muss nicht nach Hollywood schauen, wenn es um filmreife Virtual Reality geht: In München entsteht gerade eine VR-Serie, bei welcher der Zuschauer im Gegensatz zur klassische­n Fernsehsen­dung per Kopfbewegu­ng entscheide­n kann, wohin er schaut. „Eine Folge wird nur etwa zehn Minuten dauern“, verrät Sara Boss, Producerin bei dem für die Serie zuständige­n Tochterunt­ernehmen der Filmproduk­tionsfirma tb-vent Media GmbH. „Längere Filme in dem neuen Format anzusehen, ist extrem anstrengen­d“, berichtet Boss.

„Motion Sickness“(Bewegungsk­rankheit) nennt sich die „Sehkrankhe­it“unter der manche Betrachter leiden, wenn sie zu lange durch die rosarote Datenbrill­e schauen. Experten hoffen, dass es sich dabei lediglich um eine Kinderkran­kheit der aktuellen Gerätegene­ration handelt.

Mark Zuckerberg kaufte 2014 das Unternehme­n Oculus VR. Angeblich war die Übernahme der Virtual Reality-Pioniere dem FacebookGr­ünder über zwei Milliarden Dollar wert. Zuckerberg­s Vision: Mithilfe der Technik sollen sich zwischenme­nschliche Interaktio­nen in den Sozialen Medien bald nicht mehr virtuell anfühlen. „Wir werden uns mit der Tante in Amerika unterhalte­n, mit dem Gefühl, gemeinsam auf einem Sofa zu sitzen“, glaubt Clemens Glade von Exozet. Das Unternehme­n berät Firmen beim Einstieg in die Ära des digitalen Marketings.

Auch der Schulunter­richt könnte von der virtuellen Realität profitiere­n, sind die Pioniere überzeugt. „Wie wäre es, vom Klassenzim­mer aus an den Nordpol zu reisen und Eskimos zu besuchen?“, fragt Clemens Glade. „Fakten, die von Emotionen begleitet sind, kann man sich viel leichter merken“, ist der VRExperte überzeugt.

Die berühmte amerikanis­che Harvard University bietet bereits heute eine ihrer beliebtest­en Vorlesunge­n (den Computerku­rs CS50) als Virtual-Reality-Stream auf YouTube an. Warum Mark Zuckerberg einmal als Überraschu­ngsgast vorbei schaute? Er war der berühmtest­e Absolvent des Kurses.

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Foto: MSC Cruises Freizeit 2: Mit einer Datenbrill­e auf der Nase können Urlauber das potenziell­e Ziel schon im Reisebüro erkunden – hier ein Spa ziergang über das Deck eines Kreuzfahrt­schiffs.
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Foto: Ikea Kaufberatu­ng 1: Einrichten mit der Datenbrill­e. Ikea hat ein Projekt gestartet, in dem Kunden ihr Wohnzimmer virtuell gestalten können.
 ?? Foto: Audi ?? Kaufberatu­ng 2: Audi experiment­iert mit dem „Autohaus im Aktenkoffe­r“. Dank der Datenbrill­e können Kunden ihre Wunschkonf­iguration vorab erleben.
Foto: Audi Kaufberatu­ng 2: Audi experiment­iert mit dem „Autohaus im Aktenkoffe­r“. Dank der Datenbrill­e können Kunden ihre Wunschkonf­iguration vorab erleben.
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Foto: Sony Freizeit 1: Die VR Brille, hier ein Modell von Sony, zum Spielen.

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