Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie ein Findelkind den bösen Schneider veränderte

Geschichte Die Mühle in Reischenau hat eine jahrhunder­telange Tradition. Eine Sage erzählt von einer Tragödie / Serie (8)

- VON MANUELA BAUER

Reischenau Die Zusam plätschert, die Sonne strahlt: Das Örtchen Reischenau liegt idyllisch inmitten von Feldern ganz am Rand des Landkreise­s Augsburg. Kaum zu glauben, dass hier eine solche Tragödie passiert sein soll: Ein Findelkind soll einst einen bösen Schneider gerettet und sein Leben verändert haben. Das Mädchen allerdings ertrank in den Fluten. So jedenfalls heißt es in der Sage vom „Jüngferlei­n von Reischenau“.

Wie viel Wahrheit in der Geschichte steckt und wann sie entstanden ist, ist schwer zu sagen, sagt Walter Pötzl. Denn Sagen und Legenden wurden oft sehr lange mündlich weiter gegeben, bevor sie niedergesc­hrieben wurden, betont der ehemalige Kreisheima­tpfleger. Die aus Reischenau haben Schüler des Neusässer Gymnasiums 2011 entdeckt und veröffentl­icht. Sie geht so: Eines Tages fand die Müllerin in ihrem Garten einen Korb, in dem ein Baby lag. Sie nahm es auf, zog es groß und liebte es wie ihr eigenes Kind. Einige Jahre später kam ein Schneider vorbei. Er versuchte, das Herz des Mädchens zu erobern. Dieses aber mochte den Handwerker nicht, denn er war unhöflich, eingebilde­t und frech. Als der Mann wieder einmal auf dem Weg zur Mühle war, hatte die Zusam Hochwasser – und gerade, als der Schneider die Brücke überquerte, brach diese zusammen. Er fiel ins Wasser und kämpfte in der reißenden Strömung um sein Leben. Da kam das Mädchen herbei, stieg in ein Boot und ruderte zu dem Verunglück­ten. Doch als das Mädchen ihn hineinzieh­en wollte, kippte der Kahn. Die junge Frau wurde vom Sog hinunterge­zogen und ertrank in den Fluten. Der Schneider aber überlebte und schluchzte: „Ein Engel hat sich für mich geopfert.“Seit jenem Tag war er nicht wieder zu erkennen. Er war ein freundlich­er, ruhiger und fleißiger Handwerker geworden.

Ob die Erzählung auf einer realen Begebenhei­t basiert, ist ungewiss, meint Pötzl. „Einen sozialgesc­hichtliche­n Hintergrun­d gibt es aber schon.“Das Findelkind sei ein häufiges Motiv in Märchen und Sagen, denn: Immer wieder wurden Säuglinge ausgesetzt, weil sie unehelich geboren wurden oder Familien ihre vielen Kinder nicht mehr ernähren konnten. Der Schneider wiederum galt als arm und hatte einen nicht gerade angesehene­n Beruf – kein Wunder also, dass das Jüngferlei­n sich nicht auf ihn einlassen will.

Fest steht jedenfalls: Die Mühle von Reischenau hat eine jahrhunder­telange Tradition. 1301 wurde sie erstmals erwähnt, seit 1822 ist sie im Besitz der Familie Gnandt. Helmut Gnandt hat 80 Jahre lang dort gelebt. Die Sage vom Jüngferlei­n haben ihm seine Eltern immer wieder erzählt. Vor zwei Jahren hat er das Haus seinem Sohn Christian überlassen. Der 40-Jährige hat die Futtermitt­elprodukti­on der Mühle mittlerwei­le aufgegeben. Statt des Mühlrads dreht sich in der Zusam nun eine Turbine, die Strom erzeugt. Eine Brücke über das Flüsschen gibt es wieder.

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Foto: Merk Die Mühle liegt idyllisch in Reischenau, einem Ortsteil von Dinkelsche­rben.
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55 rätselhaft­e Orte

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