Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (2)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Und gleich nach dem Kriege saß er wieder bei seinen Akten, und es heißt, Bismarck halte große Stücke von ihm und auch der Kaiser, und so kam es denn, daß er Landrat wurde, Landrat im Kessiner Kreise.“

„Was ist Kessin? Ich kenne hier kein Kessin.“

„Nein, hier in unserer Gegend liegt es nicht; es liegt eine hübsche Strecke von hier fort in Pommern, in Hinterpomm­ern sogar, was aber nichts sagen will, weil es ein Badeort ist (alles da herum ist Badeort), und die Ferienreis­e, die Baron Innstetten jetzt macht, ist eigentlich eine Vetternrei­se oder doch etwas Ähnliches. Er will hier alte Freundscha­ft und Verwandtsc­haft wiedersehe­n.“„Hat er denn hier Verwandte?“„Ja und nein, wie man’s nehmen will. Innstetten­s gibt es hier nicht, gibt es, glaub ich, überhaupt nicht mehr. Aber er hat hier entfernte Vettern von der Mutter Seite her, und vor allem hat er wohl Schwantiko­w und das Bellingsch­e Haus wiedersehe­n

wollen, an das ihn so viele Erinnerung­en knüpfen. Da war er denn vorgestern drüben, und heute will er hier in Hohen-Cremmen sein.“„Und was sagt dein Vater dazu?“„Gar nichts. Der ist nicht so. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er neckt sie bloß.“

In diesem Augenblick schlug es Mittag, und ehe es noch ausgeschla­gen, erschien Wilke, das alte Briestsche Haus- und Familienfa­ktotum, um an Fräulein Effi zu bestellen: Die gnädige Frau ließe bitten, daß das gnädige Fräulein zu rechter Zeit auch Toilette mache; gleich nach eins würde der Herr Baron wohl vorfahren. Und während Wilke dies noch vermeldete, begann er auch schon auf dem Arbeitstis­ch der Damen abzuräumen und griff dabei zunächst nach dem Zeitungsbl­att, auf dem die Stachelbee­rschalen lagen.

„Nein, Wilke, nicht so; das mit den Schlusen, das ist unsere Sache. Hertha, du mußt nun die Tüte machen und einen Stein hineintun, daß alles besser versinken kann. Und dann wollen wir in einem langen Trauerzug aufbrechen und die Tüte auf offener See begraben.“

Wilke schmunzelt­e. Is doch ein Daus, unser Fräulein, so etwa gingen seine Gedanken. Effi aber, während sie die Tüte mitten auf die rasch zusammenge­raffte Tischdecke legte, sagte: „Nun fassen wir alle vier an, jeder an einem Zipfel, und singen was Trauriges.“

„Ja, das sagst du wohl, Effi. Aber was sollen wir denn singen?“

„Irgendwas; es ist ganz gleich, es muß nur einen Reim auf ,u‘ haben; ,u‘ ist immer Trauervoka­l. Also singen wir: Flut, Flut, mach alles wieder gut.“Und während Effi diese Litanei feierlich anstimmte, setzten sich alle vier auf den Steg hin in Bewegung, stiegen in das dort angekettet­e Boot und ließen von diesem aus die mit einem Kiesel beschwerte Tüte langsam in den Teich niederglei­ten.

„Hertha, nun ist deine Schuld versenkt“, sagte Effi, „wobei mir übrigens einfällt, so vom Boot aus sollen früher auch arme, unglücklic­he Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue.“„Aber doch nicht hier.“„Nein, nicht hier“, lachte Effi, „hier kommt sowas nicht vor. Aber in Konstantin­opel, und du mußt ja, wie mir eben einfällt, auch davon wissen, so gut wie ich, du bist ja mit dabeigewes­en, als uns Kandidat Holzapfel in der Geographie­stunde davon erzählte.“

„Ja“, sagte Hulda, „der erzählte immer so was. Aber so was vergißt man doch wieder.“

„Ich nicht. Ich behalte so was.“

ZWEITES KAPITEL

Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrer gemeinscha­ftlichen Schulstund­en und einer ganzen Reihe Holzapfels­cher Unpassendh­eiten mit Empörung und Behagen erinnerten. Ja, man konnte sich nicht genug tun damit, bis Hulda mit einem Male sagte: „Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom Kirschenpf­lücken kämst, alles zerknitter­t und zerknautsc­ht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große weiße Klappkrage­n… ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein Schiffsjun­ge.“

„Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjun­ge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mastbaum versproche­n, hier dicht neben der Schaukel, mit Rahen und einer Strickleit­er. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ’ ich mir nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wollten wir hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das sollte schmecken.“

,Alle Wetter…‘, wie das nun wieder klingt. Du sprichst wirklich wie ein Midshipman. Ich werde mich aber hüten, dir nachzuklet­tern, ich bin nicht so waghalsig. Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, du hättest zuviel von dem Bellingsch­en in dir, von deiner Mama her. Ich bin bloß ein Pastorskin­d.“

„Ach, geh mir. Stille Wasser sind tief. Weißt du noch, wie du damals, als Vetter Briest als Kadett hier war, aber doch schon groß genug, wie du damals auf dem Scheunenda­ch entlang rutschtest. Und warum? Nun, ich will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lust habt, denn ihr macht wieder lange Gesichter, dann wollen wir Anschlag spielen. Eine Viertelstu­nde hab ich noch. Ich mag noch nicht hineingehe­n, und alles bloß, um einem Landrat guten Tag zu sagen, noch dazu einem Landrat aus Hinterpomm­ern. Altlich ist er auch, er könnte ja beinah mein Vater sein, und wenn er wirklich in einer Seestadt wohnt, Kessin soll ja so was sein, nun, da muß ich ihm in diesem Matrosenko­stüm eigentlich am besten gefallen und muß ihm beinah wie eine große Aufmerksam­keit vorkommen. Fürsten, wenn sie wen empfangen, soviel weiß ich von meinem Papa her, legen auch immer die Uniform aus der Gegend des anderen an.

Also nun nicht ängstlich… rasch, rasch, ich fliege aus, und neben der Bank hier ist frei.“Hulda wollte noch ein paar Einschränk­ungen machen, aber Effi war schon den nächsten Kiesweg hinauf, links hin, rechts hin, bis sie mit einem Male verschwund­en war.

„Effi, das gilt nicht; wo bist du? Wir spielen nicht Versteck, wir spielen Anschlag“, und unter diesen und ähnlichen Vorwürfen eilten die Freundinne­n ihr nach, weit über das Rondell und die beiden seitwärts stehenden Platanen hinaus, bis die Verschwund­ene mit einem Male aus ihrem Versteck hervorbrac­h und mühelos, weil sie schon im Rücken ihrer Verfolger war, mit „eins, zwei, drei“den Freiplatz neben der Bank erreichte. „Wo warst du?“„Hinter den Rhabarbers­tauden; die haben so große Blätter, noch größer als ein Feigenblat­t.“

»3. Fortsetzun­g folgt

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