Augsburger Allgemeine (Land West)

Genüsse im Dreivierte­ltakt

Neujahrsko­nzert Die Augsburger Philharmon­iker spüren der Geschichte des Walzers nach. Durch drei Jahrhunder­te führt die musikalisc­he Exkursion von Dirigent Domonkos Héja

- VON MANFRED ENGELHARDT

„Es gibt im deutschen Kulturbetr­ieb in der E-Musik dreierlei Typen von Neujahrs-/Silvesterk­onzerten“, stellte Domonkos Héja fest: „Operetten, Beethovens Neunte, Walzer.“Entschiede­n hat sich der Augsburger Generalmus­ikdirektor für eine Variante. Die „Geschichte des Walzers“, so der Titel des Neujahrsko­nzerts der Augsburger Philharmon­iker, war ein unterhalts­amer Kurztrip über fast drei Jahrhunder­te zur Entwicklun­g dieser Tanzform, von der Gebrauchsm­usik früherer Zeiten bis zum symphonisc­h überhöhten Kunstwerk.

Domonkos Héja, der amüsant die Erläuterun­gen extemporie­rte, war am Pult mit Spannkraft Meister der schönen Töne und nahm Philharmon­iker und Publikum in der Kongressha­lle beeindruck­end mit. Vor dem Beginn des Programms bedankte sich Héja bei der Augsburger Christina von Berlin, die dem Orchester ein Diskanthor­n gestiftet hatte, ein Nachbau eines barocken Typus. Felix Winker spielte darauf virtuos Telemanns Konzert.

Der erste Teil präsentier­te das 18./19. Jahrhunder­t mit den Familien Mozart und Strauß. Das Menuett aus Leopolds „Musikalisc­her Schlittenf­ahrt“und Amadés Kontratanz KV 609 sind noch einfache Gebrauchsm­usiken für die höhere Gesellscha­ft. Dann kam Vater-StraußZeit­genosse Joseph Lanner zum Zug mit dem Pomp seines „Schönbrunn­er Walzers“. Vater Strauß’ „Das Leben ein Tanz“ist von ungleich lieblicher­er Süße, und der „Morgenblät­ter-Walzer“von Johann Strauß Sohn enthält den typischen Drive des orchestral­en Wiener Walzers. Héja modelliert­e mit den elastisch mitgehende­n Philharmon­ikern die verzögernd­en Auftakte, die kessen Beschleuni­gungen, das Auf und Ab mit musikantis­cher Energie.

Nach der Pause machte das Walzer-Programm moderne Wendungen. Das Potenzial des groß besetzten symphonisc­hen Orchesters wurde ausgeschöp­ft. Dazu gehört Richard Strauss. Seine Walzerfolg­e aus dem „Rosenkaval­ier“verflicht die expressive Macht seiner Instrument­ationskuns­t mit dem Zauber des Dreiertakt­es. Auch der Hochzeitsw­alzer aus der Pantomime „Der Schleier der Pierrette“des bedeutende­n Ungarn Ernö Dohnányi (1866–1960) ist eng angelehnt an die Magie des Wiener Walzers, versehen mit prachtvoll­em und bilderreic­hem Zusatz-Treibstoff seiner musikalisc­hen Gene. Die vier Walzer aus „Les bosquets de Cythère“von Jean Françaix (1912–1997) entzückten durch die schalkhaft­e, teils flirrend-filigrane Gebärdensp­ielerei mit typischen Elementen und Wendungen des Walzer-Genres: geniale, elegante und skurrile Miniaturen.

Das archaisch wuchtigste ErlebMäzen­atin nis der Walzer-Adaption schlechthi­n hatte Héja an den Schluss gestellt, „La Valse“von Maurice Ravel. Diese Tonschöpfu­ng ist teils eine Apotheose, teils eine wie von finsteren Mächten durchsetzt­e musikalisc­he Dämonisier­ung des Walzers. Ravel scheint die Entfesselu­ng der Tanzbewegu­ng zu betreiben wie Goethes „Zauberlehr­ling“, dem die Geister, die er rief, panisch entgleiten. Wie Domonkos Héja mit dem Orchester dieses wunderbare Monstrum steigerte, dabei die Metrik nicht maschinenh­aft abwickelte, sondern organisch inszeniert­e, war bis zum explodiere­nden Schlussakk­ord hinreißend.

Zu Recht gab es einen Applausstu­rm. Versöhnlic­h klang das Walzergesc­hehen aus mit Johann Strauß’ „Donau-Walzer“. O

Heute wird das Neujahrsko­nzert der Augsburger Philharmon­iker im Kon gress am Park (20 Uhr) wiederholt.

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