Augsburger Allgemeine (Land West)
Ohne Freiwillige funktioniert eine Stadt nicht
Ehrenamt Das Freiwilligen-Zentrum Augsburg begeht sein 20-jähriges Bestehen. Es berät unter anderem Menschen, die sich engagieren möchten. Geschäftsführer Wolfgang Krell erklärt, warum sie so wertvoll sind
In einer Zeittafel hat das FreiwilligenZentrum Augsburg (FZA) seine „Meilensteine“aus 20 Jahren zusammengefasst. Wie hat es angefangen?
Krell: Die Arbeit startete 1997 mit der Gründung durch den Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) Augsburg im Modellverbund der Freiwilligen-Zentren der Caritas. Los ging es mit der Engagementberatung und -vermittlung. Eine Hoch-Zeit erlebte der Gedanke in Zeiten von Sozialreferent Dr. Konrad Hummel, der unter anderem das Bündnis für Augsburg ins Leben rief. Heute sind in Augsburg stattliche 46 Prozent der Bürger ehrenamtlich engagiert.
Wie sähe eine Stadtgesellschaft ohne Engagement ihrer Bürger aus?
Krell: Bürgerschaftliches Engagement ist ein Kernelement der Gesellschaft. Ohne würde eine Stadt nicht funktionieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat ein enormer Aufbruch stattgefunden. 2001 stand das bislang erfolgreichste Themenjahr der Vereinten Nationen im Zeichen des bürgerschaftlichen Engagements.
Was wäre, gäbe es kein solches Engagement, das freiwillig und nicht allein wegen finanzieller Vorteile das Gemeinwohl fördert?
Krell: Unter anderem könnten Rettungsdienste in einem Katastrophenfall nicht mehr auf die nötige, oft lebensrettende Unterstützung zählen, Kirchengemeinden würden ohne Freiwillige ebenso wenig funktionieren wie das Vereinsleben. In Sport, Musik und allen anderen Initiativen halten ebenfalls Freiwillige das Leben aufrecht.
Abgesehen vom Geld – welchen positiven Einfluss kann Freiwilligkeit auf Hauptamtlichkeit haben?
Krell: Hauptamtlichkeit hat eine andere Qualität als freiwillige Leistung. Man nehme Altersheime. Dort tun die hauptamtlichen Beschäftigten nach Kräften das Beste für die Senioren. Freiwillige bieten aber zusätzlich etwas an, was sonst kaum stattfinden könnte. Sei es der Spaziergang im Park, die Begleitung beim Einkauf oder den Kontakt zum eigenen Stadtteil aufrechtzuerhalten.
Wie viele Freiwillige leisten in Augs-
burg diese unentbehrliche Unterstützung?
Krell: In Augsburg sind es rechnerisch fast 100000 Bürgerinnen und Bürger, die sich freiwillig engagieren. In der Engagementberatung des Freiwilligen-Zentrums werden allein pro Jahr 250 neue Freiwillige in passende Einsatzstellen vermittelt. Zu den größten Projekten im Freiwilligen-Zentrum selbst zählen neben „Change in“für engagierte Schüler die Lesepaten, Sozialpaten, Paten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie Flüchtlingslotsen. Im Bündnis für Augsburg sind inzwischen mehr als 30 weitere Projekte entstanden, wie zum Beispiel die Stadtteilmütter und MUSA – muslimische Seelsorge. Die Bürger bringen dabei immer ihren ganz
persönlichen Ansatz und Akzent mit.
Welches der Milieus in Augsburg ist am schwierigsten für bürgerschaftliches Engagement zu gewinnen?
Krell: Ich kann da eigentlich nicht zwischen etabliert, traditionell bürgerlich, postmodern oder liberal-intellektuell unterscheiden. Mir fällt aber auf, dass vor allem ältere Frauen und junge Männer unter 25 Jahren schwerer zur erreichen sind – egal in welchem Milieu sie leben. Auch Menschen mit geringerem Einkommen sind schwerer zu motivieren. Wir im FZ und im Bündnis für Augsburg bieten an, alle Kosten für das Engagement zu erstatten. Das ist leider nicht überall üblich, tatsächlich in Anspruch genommen
wird es ohnehin von nur etwa 35 Prozent der Aktiven.
Wie sieht die Zukunft im Augsburger Freiwilligen-Zentrum mit Ihnen und den zehn Mitarbeitern aus?
Krell: Entscheidend sind die 900 Freiwilligen des Freiwilligen-Zentrums. Denn sie sind die „power“. Aber auch ohne unseren Förderverein, geleitet von Jutta KochSchramm, wäre vieles schwerer. Insgesamt arbeiten wir mit 600 Organisationen zusammen. Entscheidend ist für Augsburg aktuell, wie wir mit der Vielfalt in unserer Stadt zurechtkommen. Wir müssen überlegen, wie wir miteinander leben wollen, denn Vielfalt bedeutet vor allem Chance.
Für das kommende Jahr ist mit der Welt-Freiwilligen-Konferenz wieder ein Großprojekt in Vorbereitung. Was kommt da auf Augsburg und sein Freiwilligen-Zentrum zu?
Krell: Zur Welt-Freiwilligen-Konferenz 2018 werden 800 Teilnehmer erwartet. Sie wird im Kongress am Park stattfinden und von uns als Gelegenheit gesehen, dass sich Augsburg als nachhaltige Bürgerstadt präsentiert. Dabei überlegen wir, unsere Stadtmarken Frieden und Wasser entsprechend zu nützen. Das wiederum eröffnet eine globale Perspektive, auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele 2030 der UNO.
Im Gegensatz zum Handeln der Verwaltung oder des Staates nehmen hier
zusätzlich Bürger etwas in die Hand, womit sie auch deutlich machen, was ihnen selbst wichtig ist?
Krell: Stadt, Wirtschaft, Bürgerschaft – alle müssen gemeinsam aktiv werden. Wichtig wäre auch ein sogenannter Engagement-Check, damit sichergestellt ist, dass bürgerschaftliches Engagement immer mitbedacht wird. Wir sollten bei der Bürgerbeteiligung immer darauf pochen, dass Bürger auch bei der Umsetzung nach einem Beschluss weiter Verantwortung übernehmen.
Angenommen, ich möchte mich freiwillig engagieren, weiß aber nicht genau, was für eine Tätigkeit für mich die richtige wäre. Deshalb gehe ich erst einmal zum Freiwilligen-Zentrum im Hof des Verwaltungsgebäudes, Philippine-Welser-Straße 5 a. Was geschieht dort in der Folge?
Krell: Sie vereinbaren einen Termin für eine Engagementberatung. Dann findet ein persönliches Gespräch mit einer unserer Beraterinnen statt, für das wir rund eine Stunde veranschlagen. Darin wird abgeklärt, welche Erfahrungen mit Ehrenamtlichkeit bereits vorliegen, was überhaupt nicht in Frage kommt, welche Interessen und besonderen Kompetenzen mitgebracht werden. Sortiert wird unter anderem auch nach Gruppen – Wohnungslose Behinderte, Senioren... Interview: Silvia Kämpf O
Wolfgang Krell ist Geschäftsführer des Augsburger Freiwilligen Zentrums.