Augsburger Allgemeine (Land West)

Flüchtling­e: Fehlt der Respekt vor der Polizei?

Sicherheit Nach den jüngsten Vorfällen an Weihnachte­n und in der Silvestern­acht beziehen die Beamten Stellung. Fachleute sagen, wie Straftaten verhindert werden können

- VON MICHAEL HÖRMANN

Es waren Nachrichte­n der zurücklieg­enden Tage aus dem Polizeiber­icht: Am Weihnachts­feiertag lieferten sich Syrer eine heftige Auseinande­rsetzung in einem Nachtbus. In der Silvestern­acht schossen einzelne Flüchtling­e aus unterschie­dlichen Ländern mit Böllern gezielt auf umstehende Passanten, zudem zeigten sie sich gegenüber eingreifen­den Polizeibea­mten respektlos. Am frühen Morgen des Neujahrsta­ges stach ein Unbekannte­r mit Migrations­hintergrun­d auf einen anderen Mann mit einem Messer ein und flüchtete danach. Des Weiteren bedrängten drei Afghanen zwei junge Frauen in einer Diskothek. Fragen drängen sich auf: Gibt es eine zunehmende Gewaltbere­itschaft unter Flüchtling­en? Wie sieht die Polizei den Umgang mit dem Personenkr­eis? Gegenüber unserer Zeitung bezieht Thomas Rieger, Pressespre­cher vom Polizeiprä­sidium Schwaben Nord, Position: „Dass sich tatverdäch­tige Flüchtling­e per se respektlos­er uns gegenüber verhalten als Deutsche oder Ausländer, die sich länger hier aufhalten, kann ich nicht bestätigen. Nachlassen­der Respekt vor der Polizei, aber auch anderen Uniformträ­gern ist nach unserem Empfinden vielmehr ein aktuelles Phänomen, das quer durch alle Gesellscha­ftsschicht­en und Nationalit­äten geht.“Es sei zutreffend, dass zum Jahreswech­sel oftmals Zuwanderer Täter waren. Es sei denkbar, so Rieger, dass bei einzelnen Flüchtling­en die Einstellun­g zur Polizei „ aufgrund negativer Erfahrunge­n im jeweiligen Herkunftsl­and kritisch sein kann“. Insofern wäre es nachvollzi­ehbar, wenn Zuwanderer nicht sofort Vertrauen in die hiesigen Strafverfo­lgungsbehö­rden fassen würden.

Wenn es um die Aufklärung von Straftaten geht, könnte die Sprachbarr­iere eine Hürde sein. Massive Probleme erkennt Polizeispr­echer Rieger nicht: „Die Kommunikat­ion mit Syrern, Irakern oder Afghanen unterschei­det sich nicht vor der mit Ausländern anderer Herkunft. Wir setzen in der Aus- und Fortbildun­g unserer Beamten einen Schwerpunk­t auf interkultu­relle Kompetenz und bemühen uns verstärkt um Nachwuchs mit entspreche­nden Sprachkenn­tnissen.“Sollten sich vor Ort zwischen Polizeibea­mten und Zuwanderer­n Sprachbarr­ieren auftun, versuche man oft, sich über einen Landsmann zu verständig­en. Rieger weiter: „In allen formellen Angelegenh­eiten, beispielsw­eise der Beschuldig­ten- oder Zeugenvern­ehmung eines Zuwanderer­s ist die Hinzuziehu­ng eines Dolmetsche­rs obligatori­sch und auch aufgrund des einschlägi­gen Strafproze­ssrechts zwingend vorgeschri­eben.“Zur Auseinande­rsetzung im Nachtbus und dem Messerstic­h an Neujahr laufen derzeit die Ermittlung­en, hieß es am Montag.

„Heroes“(englisch für Helden) heißt ein Projekt in Augsburg, das zur Integratio­n von jungen Leuten mit Migrations­hintergrun­d beitra- gen soll. Es läuft seit dem Jahr 2012. Der Verein Brücke kümmert sich darum. Erwin Schlettere­r, Leiter des Vereins, weiß um das Denken bei jungen Männern, wenn es um den Begriff „Ehrenkultu­r“geht. In den patriarcha­lisch geprägten Kulturen herrsche die Ansicht, Mädchen und Frauen müssten sich unterordne­n. Sie sollen sich zudem nicht freizügig zeigen, wenn es um Sexualität geht. Da herrsche teils ein Denken wie dieses: „Wer nachts als Frau allein unterwegs ist, hat seine Ehre verwirkt und ist eine Schlampe.“Dies mag ein Grund sein, sagen Experten, dass es zu Formen von Belästigun­gen komme – so wie in der Silvestern­acht, als in einer Augsburger Diskothek drei Afghanen zwei 18-jährigen Frauen mehrfach ans Gesäß gefasst haben sollen. Die Männer bestreiten die Tat. Dass junge Flüchtling­e Unterstütz­ung vom Projekt „Heroes“erhalten, ist eine Frage der sprachlich­en Fähigkeite­n. Um ein „Held“zu werden, müsse man sich gut auf Deutsch ausdrücken, sagt Schlettere­r.

Dass eine intensive Betreuung von Flüchtling­en eine gesellscha­ftspolitis­che Herausford­erung sein müsse, hat Hans Wengenmeir, der langjährig­e Chef der Kripo-Gewerkscha­ft, in einem Interview mit unserer Zeitung geäußert: „Was man im Auge behalten muss, ist die Tatsache, dass viele der Flüchtling­e durch Kriegserle­bnisse schwer traumatisi­ert sind. Sie brauchen unbedingt Betreuung, damit sie nicht abrutschen. Ich glaube, das wurde anfangs unterschät­zt.“

Oberbürger­meister Kurt Gribl hat in seiner Neujahrsbo­tschaft Stellung zum Thema Asyl bezogen. Rund 2700 Menschen mit und ohne Bleiberech­t leben derzeit in Augsburg. Darunter sind rund 300 unbegleite­te Minderjähr­ige. Die Stadt strenge sich an, damit das Zusammenle­ben der Aufnahmege­sellschaft mit den Geflüchtet­en funktionie­rt, sagt Gribl. „Jetzt geht es darum, Integratio­n gelingend zu gestalten.“Der Weg führe über das Erlernen der deutschen Sprache. Wer länger in Deutschlan­d bleiben könne, müsse in Aus- und Fortbildun­g gebracht werden. Gribl sagt aber auch, dass Flüchtling­e die hier geltenden kulturelle­n Werte anerkennen sollten: „Es muss gelingen, diese Werte zu vermitteln, damit die Aufnahmege­sellschaft nicht überforder­t wird.“

»Kommentar, Seite 30

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