Augsburger Allgemeine (Land West)

Als der Teufel Luther den Weg wies

1518 besucht der Reformator Augsburg. Er tut es unfreiwill­ig und flieht bei Nacht und Nebel / Serie (13)

- VON NICOLE PRESTLE

Sein Augsburg-Besuch war fast ein Geheimnis: Kaum einer aus dem Volk hatte in jenem Oktober 1518 bemerkt, dass Martin Luther sich in der Stadt aufhielt. Wen also wundert’s, dass der Reformator ebenso still wieder verschwand? In einer Montagnach­t suchte er das Weite. Der Teufel persönlich, so die Legende, habe Luther mit den Worten „Da hinab!“den Weg durch ein Tor in der Stadtmauer gewiesen. Dem Reformator rettete diese Flucht das Leben; Augsburg be- scherte sie eine Geschichte, die im Lutherjahr 2017 sicherlich öfter erzählt wird.

Luther war damals nicht gerne nach Augsburg gereist. Seine Ängste hielt er später mit diesen Worten fest: „Mein Gefühl war: Nun muss ich sterben. Und ich stellte mir den hochgeschi­chteten Scheiterha­ufen vor Augen (...).“Die letzten Kilometer konnte der Kirchenman­n nicht mehr zu Fuß zurücklege­n; erschöpft legte er sich auf einen Getreideka­rren, der ihn am 7. Oktober 1518 durchs Wertachbru­cker Tor in die Stadt fuhr.

Gut ein Jahr vorher hatte Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshand­el an die Tore der Wittenberg­er Schlosskir­che genagelt und dadurch ein Erdbeben im Deutschen Reich sowie in Rom ausgelöst. Die katholisch­e Kirche bezichtigt­e ihn der Ketzerei und eröffnete ihm den Prozess. Würde er nicht widerrufen, würde er sterben.

Seine Anhörung fand in Augsburg statt. Kaiser Maximilian I. hatte für 1518 einen Reichstag dorthin einberufen. Luther sollte dem päpstliche­n Gesandten Kardinal Thomas Cajetan Rede und Antwort stehen und seine Thesen zurücknehm­en. Das Duell der Theologen findet am 12., 13. und 14. Oktober 1518 in den Fuggerhäus­ern in der Maximilian­straße statt. Cajetan will Luther zum Widerruf zwingen, doch dieser bleibt stur. Dokumente belegen, dass die Auseinande­rsetzung heftig verlief. Es sei geschrien worden und lautstark gerungen. Als Luther am dritten Tag einfach den Raum verlässt, schreit Cajetan ihm hinterher: „Ich will mit dieser Bestie nicht mehr sprechen, denn er hat tief liegende Augen und wunderlich­e Spekulatio­nen in seinem Kopf.“

Tage später lässt Luther auch in Augsburg Schriften anschlagen: Sein Notar hängt ein Schreiben Luthers an den Papst am Domportal aus. Alle Welt soll erfahren, in welche Schieflage die katholisch­e Kirche geraten ist. Doch am Tag, als die Schriften ans Domportal gehängt werden, hat Luther Augsburg schon verlassen. Wie die Flucht ablief, blieb ein Geheimnis. Freilich war es nicht der Teufel, der ihm half. Historiker nehmen aber an, dass Luther einen Unterstütz­er im Sohn des Bürgermeis­ters hatte: Christoph Langenmant­el soll seine Kontakte zu den Wachen genutzt haben, um dem Reformator eine Pforte in der Stadtmauer offenzuhal­ten.

Doch wo liegt diese Pforte, die bis heute „Da hinab“genannt wird? Historiker sind sich nicht sicher. Sie könnte sich am Alten Einlass, also in der Nähe des heutigen Theaters, befunden haben. Sie könnte das Klinkertor gewesen sein oder ein Tor am Gallusberg­le. Dort immerhin weist eine Gedenktafe­l auf die heimliche Flucht Luthers hin.

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Foto: Silvio Wyszengrad Eine kleine Tafel nahe des Stephinger Bergs erinnert an das Tor, durch das Lu ther 1518 aus der Stadt Augsburg geflo hen sein soll.
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55 rätselhaft­e Orte

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