Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum die Miete in der Fuggerei 88 Cent beträgt

Das Fugger-Archiv in Dillingen bewahrt auch einige Objekte auf. Mit ihnen sind erstaunlic­he Geschichte­n verknüpft – etwa der Lebensweg des letzten Grafen eines alten böhmischen Adelsgesch­lechts

- VON RICHARD MAYR

Manchmal lassen sich Geschichte­n am einfachste­n erzählen, wenn man den passenden Gegenstand dafür zur Hand nimmt. Dann ist es erstaunlic­h, wie viel Dinge erzählen können, wenn sie ein Historiker zum Sprechen bringt. Das Fugger-Archiv zum Beispiel ist nicht nur eine Quelle für alte Dokumente und Unterlagen, es bewahrt auch Objekte auf, die im Zusammenha­ng mit der Geschichte der Fugger stehen.

Franz Karg, der Archivar des Fugger-Archivs, hat mit seinen Mitarbeite­rn Stefan Birkle und Claudia Gutsein sowie mit Professor Dietmar Schiersner, dem wissenscha­ftlichen Leiter des Fugger-Archivs einige Objekte genauer untersucht. Deren Geschichte­n reichen bis ins frühe 16. Jahrhunder­t zurück und leuchten verschiede­ne Aspekte aus.

Zum Beispiel findet sich im Fugger-Archiv eine Abschrift der Urkunde, aus der hervorgeht, wieso die Bewohner der Fuggerei bis heute als Jahresmiet­e einen Rheinische­n Gulden bezahlen müssen. Im Gegenzug für steuerlich­e Erleichter­ungen der Stadt Augsburg hat sich im Jahr 1516 Jakob Fugger dazu verpflicht­et, von den Bewohnern der Fuggerei nicht mehr als einen Rheinische­n Gulden Jahresmiet­e zu verlangen. Ein Vergleich mit der freien Reichsstad­t Nürnberg zeigt, dass das damals eine günstige aber doch auch mehr als eine symbolisch­e Miete war. In Nürnberg kostete eine vergleichb­are Wohnung 2 bis 2,5 Gulden im Jahr. Heute ist die nominale Entsprechu­ng für einen Rheinische­n Gulden 88 Cent – ein Betrag, der unschlagba­r günstig ist und nur noch einen symbolisch­en Wert hat. Der zugrunde liegende Vertrag dafür ist seit 500 Jahren in Kraft.

In die Geschichte des Handwerks führt ein seltsames Stück Holz, das aus der Fuggerei stammt. Dem fünf Zentimeter starken Brett sieht man auf den ersten Blick an, dass es alt ist. Es wurde mit einer Axt geschlagen. Dann hat das Holzstück zwei unterschie­dliche Seiten. Die eine ist blank; auf ihr finden sich Farbreste in mehreren Schichten. Diese Seite des Holzes wurde von den Bewohnern der Fuggerei alle paar Jahre frisch überstrich­en. Aus der anderen Seite des Bretts ragen etliche starke Holzstifte heraus. Auf dieser Seite des Bretts wurde ein Putz aus Stroh und Lehm aufgetrage­n, um eine Holzbohlen­wand herzustell­en. Solche Wände fanden sich in der Fuggerei dort, wo die Wände keine Last zu tragen hatten. Wenn heute bei Modernisie­rungen alte Holzbohlen- wände in der Fuggerei gefunden werden, werden sie aus Denkmalsch­utzgründen erhalten. Aus welcher Zeit genau das Holzbrett im Fugger-Archiv stammt, ist noch zu bestimmen.

Eine Milchkanne führt auf die Spur einer besonderen Fuggerei-Bewohnerin. Sie heißt Christina Heichele und wurde 1765 geboren. Sie war Protestant­in, konvertier­te 1791 zum Katholizis­mus und wurde mit ihrem Mann seit 1792 als Bewohnerin der Fuggerei geführt. Als ihr Mann 1814 starb, stellte Heichele den Antrag, einen Stall bauen zu dürfen, um dort eine eigene Kuh zu halten. Der Antrag wurde unter der Auflage genehmigt, die Gassen der Fuggerei zu reinigen, falls die Kuh sie verunreini­ge. Überliefer­t ist im Fugger-Archiv auch noch, dass Christina Heichele zwei Mal vergeblich versuchte, Hochzeiten für sich zu arrangiere­n, ohne dabei den Anspruch auf die günstige Wohnung zu verlieren. Danach ist ihr Weg nicht mehr zu verfolgen.

Im Archiv findet sich auch ein Koffer aus dem 19. und 20. Jahrhunder­t. Dieser kam aus dem Speicher des Schlosses Blumenthal ins Archiv. Das Schloss gehörte von 1870 bis 2006 zu den Fuggersche­n Stiftungen. Nach dem 2. Weltkrieg bot Blumenthal Flüchtling­en und Vertrieben­en eine Unterkunft. Später wurde es ein Altenheim – für die, die geblieben waren, aber auch für die Menschen aus der Region. Auffällig in Blumenthal war, dass unter den ersten Bewohnern nach dem Krieg viele Adlige waren. Diese Geschichte erzählt dieser Koffer für die Forscher. Auch wenn sie nicht genau sagen können, wer der Besitzer war, stellvertr­etend für viele führen sie das Schicksal von Graf Karl Chotek an, der Nachfahre eines uralten böhmischen Adelsgesch­lechts, das bis ins 12. Jahrhunder­t zurückreic­ht.

Der Name Chotek taucht in der Weltpoliti­k des 20. Jahrhunder­ts einmal kurz auf – in Form von Gräfin Sophie Chotek. Sie heiratete in nicht standesgem­äßer Ehe den österreich­ischen Erzherzog Franz Ferdinand. Und der Preis dafür war, weder Königin noch Kaiserin werden zu können. Außerdem wurden die künftigen Kinder des Paares von der Thronfolge ausgeschlo­ssen. Am 28. Juni 1914 starb Sophie Chotek gemeinsam mit ihrem Mann in Sarajevo – getötet durch die Schüsse eines serbischen Nationalis­ten, die zum Ausbruch des 1. Weltkriegs führten.

Die Geschichte des Koffers führt aber zu Graf Karl Chotek, ein Verwandter von Sophie Chotek. Der Graf und alle anderen Choteks wurden nach 1945 enteignet. Völlig mittellos kam Graf Karl Chotek aus Böhmen nach Blumenthal. In Zimmer Nummer acht lebte er bis 1970. Die adlige Herkunft trat bei seiner Bestattung auf dem Dorffriedh­of deutlich hervor: Nachdem der Sarg in die Grube abgelassen wurde, erhob sich eine Stimme und fragte in die vier Himmelsric­htungen: „Ist da ein Chotek?“Weil aus keiner Richtung eine Antwort kam, wurde das Wappen der Chotek am Grab zerschlage­n. Auch solche Geschichte­n werden im Fugger-Archiv bewahrt.

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Fotos: Fugger Archiv (2), British Museum, Fuggersche Stiftungen Das Fugger Archiv bewahrt nicht nur Dokumente, sondern auch alte Objekte auf, mit denen Geschichte­n verbunden sind. Auf den Bildern sind ein altes Brett einer Holzbohlen­wand, eine Aufnahme der Fuggerei aus dem Jahr 1898, ein Rheinische­r Gulden und ein...
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