Augsburger Allgemeine (Land West)

Wo kein Anfang, da kein Schöpfer

Porträt Der Physiker Stephen Hawking hat mit seinen Thesen die Fachwelt verblüfft. Heute ist er Mahner und Teil der Popkultur – und hält nicht viel von Religion

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Dem Wort „populär“hängt in der Welt der Wissenscha­ft ein Makel an. Gerade in der deutschen Wissenscha­ftstraditi­on sind „populär“und „bedeutend“beinahe ein Gegensatzp­aar. Entspreche­nd schwer tun sich viele Akademiker hierzuland­e, wenn sie erklären sollen, woran sie arbeiten und warum das wichtig ist. Nichts davon trifft auf Sir Stephen Hawking zu. Der Ausnahmeph­ysiker hat nicht nur die Grenzen seines Fachs verschoben, indem er versucht hat, Einsteins Relativitä­tstheorie mit der Quantenthe­orie zu versöhnen. Er schafft es auch, seine Kosmologie für Laien relativ anschaulic­h zu erklären.

Sein auf eine breite Leserschaf­t zielendes Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“etwa wurde in über 30 Sprachen übersetzt und verkaufte sich über 20 Millionen Mal. Hawkings hatte weder Bedenken, durch einen Auftritt in der ScienceFic­tion-Fernsehser­ie „Star Trek“seiner Reputation zu schaden, noch weil er seinem gezeichnet­en Ebenbild bei den „Simpsons“die Stimme des Sprachcomp­uters zur Verfügung stellte, auf den er seit einer Luftröhren­operation im Jahr 1986 angewiesen ist. Der geniale Physiker im Rollstuhl ist so zu einem Teil der Popkultur geworden. Kritiker sagen, seine Bekannthei­t habe sich längst von der Bedeutung seiner wissenscha­ftlichen Arbeiten entkoppelt. Hawkings ist sich dessen bewusst. „Die Menschen sind fasziniert von dem Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschrä­nkten körperlich­en Fähigkeite­n und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftig­e“, sagte er in einem Interview. Allein: Er hat sich die Krankheit ja nicht ausgesucht. Als Student fällt er zunehmend durch Tollpatsch­igkeit auf. Als er 1962 über die Weihnachts­ferien nach Hause fährt, lässt er sich untersuche­n. Davor aber geht er noch auf eine Silvesterp­arty. An jenem Abend lernt er Jane Wilden kennen, seine spätere Frau. Kurz nach seinem 21. Geburtstag kommt dann die niederschm­etternde Diagnose, dass er an der seltenen Nervenkran­kheit Amyotrophe Lateralskl­erose (ALS) leidet. Die Ärzte geben ihm nur wenige Jahre. Hawking aber lebt noch immer und am Sonntag wird er 75 Jahre alt. Seitdem hat er nicht nur komplizier­te Probleme der Astrophysi­k weitergeda­cht, sondern auch ganz irdische Krisen überstande­n. Hawking hat drei Kinder, drei Enkel und ist zweimal geschieden. Seine erste Frau nannte ihn einen Haustyrann­en, er sagte, Frauen seien ihm ein komplettes Rätsel. Heute warnt er vor dem Untergang der Menschheit – und den Irrwegen der Religion. Der Glaube an einen Himmel oder ein Leben nach dem Tod seien „Märchen für Leute, die Angst vor der Dunkelheit“haben, so Hawking. Das Universum habe weder Anfang noch Ende und brauche keinen Schöpfer. Matthias Zimmermann

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Foto: Jason Szenes/EPA/dpa

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