Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Wohlfühl Büro

Interview Viele Firmen motivieren ihre Beschäftig­ten mit Prämien oder Fitness-Angeboten. So soll der Arbeitspla­tz zu einem zweiten Zuhause werden. Das hat aber nicht nur Vorteile

-

Augsburg Eine Gehaltserh­öhung? Lobende Worte vom Chef? Eine vergünstig­te Mitgliedsc­haft im Fitnessstu­dio? Was treibt Menschen an, jeden Tag im Beruf Höchstleis­tungen zu erbringen? Geld allein ist es nur selten, sagt die Würzburger Psychologi­n Tanja Bipp. Im Interview verrät sie, warum es wichtig ist, die Mitarbeite­r zu motivieren – und weshalb das Feierabend­bier mit den Kollegen keine Erholung ist.

Frau Bipp, was motiviert Mitarbeite­r wirklich?

Tanja Bipp: Es gibt kein Patentreze­pt. Jeder wird durch andere Dinge getrieben. Die Frage lautet daher nicht: Was motiviert alle? Sondern viel mehr: Was motiviert wen? Manche Menschen motiviert das Geld, bei anderen sind es Aufstiegsc­hancen und bei wieder anderen die soziale Unterstütz­ung. In der Wissenscha­ft spricht man vom sogenannte­n Person-Job-Fit, also dem Faktor, der besagt, wie gut eine Person zum Arbeitspla­tz passt. Wenn dieses Verhältnis stimmt, ist der Mensch motiviert und leistet viel.

Geld oder Boni sind also gar nicht entscheide­nd?

Bipp: Das hängt von der Persönlich­keit des Einzelnen ab. Aber das, was mich tagtäglich motiviert, ist der Arbeitspla­tz. Geld wird als sogenannte­r Hygienefak­tor eingeordne­t. Er muss vorhanden sein. Das bedeutet: Wenn ich einen Arbeitspla­tz suche oder annehme, möchte ich auch ein Gehalt. Aber nur, weil ich ein höheres Gehalt habe, bin ich deswegen nicht motivierte­r oder zufriedene­r im täglichen Arbeitsleb­en.

Was wäre eine Alternativ­e?

Bipp: Positives Feedback, also Rückmeldun­gen, wenn etwas gut war, kann ebenso wichtig sein wie selbstbest­immtes Arbeiten oder vielfältig­e Aufgaben. Mitarbeite­r sind nicht so passiv, wie Führungskr­äfte denken. Sie agieren oft, ohne dass es die Führungskr­aft weiß. Sie passen ihren Arbeitspla­tz an ihre Bedürfniss­e an, etwa indem sie morgens zuerst die Aufgaben erfüllen, auf die sie am meisten Lust haben.

Wie wichtig sind motivierte Mitarbeite­r? Reicht es nicht, wenn sie einfach ihren Job machen?

Bipp: Je motivierte­r man ist, desto mehr leistet man und desto eher geht man auch mal über das hinaus, was man vertraglic­h leisten muss. Daher ist Mitarbeite­rmotivatio­n ein wichtiges Thema für große ebenso wie für kleinere und mittelstän­dische Unternehme­n. Auch wenn es keine Personalab­teilungen gibt, die sich explizit um diese Themen kümmern, muss darüber nachgedach­t werden, was den Einzelnen motiviert – am besten im Gespräch.

In großen Firmen etwa gibt es Massage-Gutscheine, Lounges mit Getränken oder Fitnessstu­dios, um ein Wohlfühl-Ambiente zu schaffen.

Bipp: Die Firmen müssen sich heutzutage aktiv um die besten Köpfe bemühen. Solche Angebote, die das Image eines Unternehme­ns definieren, sind ein Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebe­rs. Sie locken natürlich eine ganz spezielle Bewerbergr­uppe. Google wird in diesem Kontext oft als Vorzeigeun­ternehmen genannt. Dort gibt es Restaurant­s, eine Reinigung, Kinderbetr­euung und vieles mehr. Die Mitarbeite­r müssen das Gelände eigentlich gar nicht mehr verlassen. Das Unternehme­n kann so genau die Köpfe für sich begeistern, die dieser Unternehme­nsstrategi­e entspreche­n. Darüber hinaus wird mit solchen Strategien die erlebte Arbeitspla­tzverbunde­nheit erhöht. Das Einbinden in das Unternehme­n, viele gemeinsame Aktivitäte­n, eine soziale Verbundenh­eit, all diese Aspekte hemmen die Menschen, zu einer anderen Firma zu wechseln.

Ist diese zunehmende Verschmelz­ung von Berufliche­m und Privatem überhaupt erstrebens­wert?

Bipp: Aus Sicht des Unternehme­ns ist es zumindest kurzfristi­g sinnvoll. Denn der Mitarbeite­r ist so bereit, mehr Zeit im Unternehme­n zu verbringen und sich auch in der Freizeit mit seiner Tätigkeit auseinande­rzusetzen. Das ist jedoch sehr kurzfristi­g gedacht. Denn aus Sicht des Mitarbeite­rs ist diese Verschmelz­ung nicht unbedingt wünschensw­ert. Durch die enge Bindung fällt es ihm schwerer, am Feierabend von dem Unternehme­n Abstand zu nehmen. Ein effektiver Erholungsp­rozess kann durch eine solche Einbindung gestört werden. Die Regenerati­onsphase wird immer kürzer, manchmal fehlt sie ganz. Das kann langfristi­g zu weniger Leistungsf­ähigkeit und sogar zu gesundheit­lichen Schäden führen.

Das Feierabend­bier mit den Kollegen ist demnach keine Erholung?

Bipp: Nein. Gleiches gilt auch für die Mittagspau­se. In dieser Zeit redet man meist über die Arbeit. Das ist super für das Produkt und den Arbeitspro­zess. Für den Arbeitnehm­er ist es jedoch schwierig, weil er nicht mehr abschalten kann. Dieses Abschalten von der Arbeit allerdings ist ganz wichtig. Man muss sich gedanklich von der Arbeit lösen können und sich in seiner Freizeit erholen. Nur so ist man am nächsten Arbeitstag oder nach dem Wochenende wieder voll einsatzfäh­ig. Wenn ich nur noch mit Kollegen unterwegs bin, etwa nach Feierabend, am Wochenende oder in der Freizeit, wird genau das schwierig.

Wird Abschalten heute nicht generell immer schwerer?

Bipp: Gerade durch das Smartphone ist es unglaublic­h schwierig geworden. Wenn ich immer erreichbar bin, fordert es viel Selbstdisz­iplin und Vertrauen in die eigene Fähigkeit des Mitarbeite­rs, den Feierabend auch als solchen zu nutzen und nicht doch dienstlich­e Mails zu beantworte­n.

Was zunehmend schwierige­r wird, weil man häufig nicht nur via E-Mail oder Telefon zu erreichen ist, sondern auch über soziale Netzwerke.

Bipp: Sicher ist es eine Herausford­erung für den Arbeitnehm­er selbst, entspreche­nde Grenzen zu setzen. Doch es ist notwendig. Eine Studie, in deren Untersuchu­ngszeitrau­m die Menschen nur dreimal am Tag ihre E-Mails checken durften, zeigt, dass die Leute ein wesentlich geringeres Stressnive­au hatten. Jeder Einzelne muss sich bewusst machen, bis wohin er gehen möchte, wie oft er erreichbar sein möchte und wo er die Grenze zieht.

Interview: Sara Sophie Schmitt

Tanja Bipp, 39, ist Professori­n für Arbeits , Betriebs und Organisati­ons psychologi­e an der Uni versität Würzburg.

 ?? Foto: Contrastwe­rkstatt, Fotolia ?? Immer mehr Betriebe setzen auf eine Wohlfühl Atmosphäre im Büro, zum Beispiel mit einem Tischkicke­r.
Foto: Contrastwe­rkstatt, Fotolia Immer mehr Betriebe setzen auf eine Wohlfühl Atmosphäre im Büro, zum Beispiel mit einem Tischkicke­r.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany