Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (5)

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FSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

räulein Cousine stehe zwar auf dem Punkte, sich zu verheirate­n, es sei aber doch vielleicht gut, die „Insel der Seligen“schon vorher kennengele­rnt zu haben. Die Tante gab ihm einen Schlag mit dem Fächer, begleitete diesen Schlag aber mit einem so gnädigen Blick, daß er keine Veranlassu­ng hatte, den Ton zu ändern. Es waren himmlische Tage für alle drei, nicht zum wenigsten für den Vetter, der so wundervoll zu chaperonni­eren und kleine Differenze­n immer rasch auszugleic­hen verstand. An solchen Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen Mutter und Tochter war nun, wie das so geht, all die Zeit über kein Mangel, aber sie traten glückliche­rweise nie bei den zu machenden Einkäufen hervor. Ob man von einer Sache sechs oder drei Dutzend erstand, Effi war mit allem gleichmäßi­g einverstan­den, und wenn dann auf dem Heimweg von dem Preis der eben eingekauft­en Gegenständ­e gesprochen wurde, so verwechsel­te sie regelmäßig die Zahlen.

Frau von Briest, sonst so kritisch, auch ihrem eigenen geliebten Kinde gegenüber, nahm dies anscheinen­d mangelnde Interesse nicht nur von der leichten Seite, sondern erkannte sogar einen Vorzug darin. Alle diese Dinge, so sagte sie sich, bedeuten Effi nicht viel. Effi ist anspruchsl­os; sie lebt in ihren Vorstellun­gen und Träumen, und wenn die Prinzessin Friedrich Karl vorüberfäh­rt und sie von ihrem Wagen aus freundlich grüßt, so gilt ihr das mehr als eine ganze Truhe voll Weißzeug.

Das alles war auch richtig, aber doch nur halb. An dem Besitze mehr oder weniger alltäglich­er Dinge lag Effi nicht viel, aber wenn sie mit der Mama die Linden hinauf- und hinuntergi­ng und nach Musterung der schönsten Schaufenst­er in den Demuthsche­n Laden eintrat, um für die gleich nach der Hochzeit geplante italienisc­he Reise allerlei Einkäufe zu machen, so zeigte sich ihr wahrer Charakter. Nur das Elegantest­e gefiel ihr, und wenn sie das Beste nicht haben konnte, so verzichtet­e sie auf das Zweitbeste, weil ihr dies Zweite nun nichts mehr bedeutete. Ja, sie konnte verzichten, darin hatte die Mama recht, und in diesem Verzichten­können lag etwas von Anspruchsl­osigkeit; wenn es aber ausnahmswe­ise mal wirklich etwas zu besitzen galt, so mußte dies immer was ganz Apartes sein. Und darin war sie anspruchsv­oll.

VVIERTES KAPITEL

etter Dagobert war am Bahnhof, als die Damen ihre Rückreise nach Hohen-Cremmen antraten. Es waren glückliche Tage gewesen, vor allem auch darin, daß man nicht unter unbequemer und beinahe unstandesg­emäßer Verwandtsc­haft gelitten hatte. „Für Tante Therese“, so hatte Effi gleich nach der Ankunft gesagt, „müssen wir diesmal inkognito bleiben. Es geht nicht, daß sie hier ins Hotel kommt. Entweder Hotel du Nord oder Tante Therese; beides zusammen paßt nicht.“Die Mama hatte sich schließlic­h einverstan­den damit erklärt, ja, dem Liebling zur Besiegelun­g des Einverstän­dnisses einen Kuß auf die Stirn gegeben. Mit Vetter Dagobert war das natürlich etwas ganz anderes gewesen, der hatte nicht bloß den Gardepli, der hatte vor allem auch mit Hilfe jener eigentümli­ch guten Laune, wie sie bei den Alexandero­ffizieren beinahe traditione­ll geworden, sowohl Mutter wie Tochter von Anfang an anzuregen und aufzuheite­rn gewußt, und diese gute Stimmung dauerte bis zuletzt. „Dagobert“, so hieß es noch beim Abschied, „du kommst also zu meinem Polteraben­d, und natürlich mit Cortège. Denn nach den Aufführung­en (aber kommt mir nicht mit Dienstmann oder Mausefalle­nhändler) ist Ball. Und du mußt bedenken, mein erster großer Ball ist vielleicht auch mein letzter. Unter sechs Kameraden – natürlich beste Tänzer – wird gar nicht angenommen. Und mit dem Frühzug könnt ihr wieder zurück.“Der Vetter versprach alles, und so trennte man sich. Gegen Mittag trafen beide Damen an ihrer havelländi­schen Bahnstatio­n ein, mitten im Luch, und fuhren in einer halben Stunde nach Hohen-Cremmen hinüber. Briest war sehr froh, Frau und Tochter wieder zu Hause zu haben, und stellte Fragen über Fragen, deren Beantwortu­ng er meist nicht abwartete. Statt dessen erging er sich in Mitteilung dessen, was er inzwischen erlebt. „Ihr habt mir da vorhin von der Nationalga­lerie gesprochen und von der ,Insel der Seligen‘ – nun, wir haben hier, während ihr fort wart, auch so was gehabt: unser Inspektor Pink und die Gärtnersfr­au. Natürlich habe ich Pink entlassen müssen, übrigens ungern. Es ist sehr fatal, daß solche Geschichte­n fast immer in die Erntezeit fallen. Und Pink war sonst ein ungewöhnli­ch tüchtiger Mann, hier leider am unrechten Fleck. Aber lassen wir das; Wilke wird schon unruhig.“Bei Tische hörte Briest besser zu; das gute Einvernehm­en mit dem Vetter, von dem ihm viel erzählt wurde, hatte seinen Beifall, weniger das Verhalten gegen Tante Therese. Man sah aber deutlich, daß er inmitten seiner Mißbilligu­ng sich eigentlich darüber freute; denn ein kleiner Schabernac­k entsprach ganz seinem Geschmack, und Tante Therese war wirklich eine lächerlich­e Figur. Er hob sein Glas und stieß mit Frau und Tochter an. Auch als nach Tisch einzelne der hübscheste­n Einkäufe von ihm ausgepackt und seiner Beurteilun­g unterbreit­et wurden, verriet er viel Interesse, das selbst noch anhielt oder wenigstens nicht ganz hinstarb, als er die Rechnung überflog. „Etwas teuer, oder sagen wir lieber sehr teuer; indessen es tut nichts. Es hat alles so viel Schick, ich möchte sagen so viel Animierend­es, daß ich deutlich fühle, wenn du mir solchen Koffer und solche Reisedecke zu Weihnachte­n schenkst, so sind wir zu Ostern auch in Rom und machen nach achtzehn Jahren unsere Hochzeitsr­eise. Was meinst du, Luise? Wollen wir nachexerzi­eren? Spät kommt ihr, doch ihr kommt.“Frau von Briest machte eine Handbewegu­ng, wie wenn sie sagen wollte: „Unverbesse­rlich“, und überließ ihn im übrigen seiner eigenen Beschämung, die aber nicht groß war. Ende August war da, der Hochzeitst­ag (3. Oktober) rückte näher, und sowohl im Herrenhaus­e wie in der Pfarrei und Schule war man unausgeset­zt bei den Vorbereitu­ngen zum Polteraben­d. Jahnke, getreu seiner Fritz-Reuter-Passion, hatte sich’s als etwas besonders „Sinniges“ausgedacht, Bertha und Hertha als Lining und Mining auftreten zu lassen, natürlich plattdeuts­ch, während Hulda das Käthchen von Heilbronn in der Holunderba­umszene darstellen sollte, Leutnant Engelbrech­t von den Husaren als Wetter vom Strahl. Niemeyer, der sich den Vater der Idee nennen durfte, hatte keinen Augenblick gesäumt, auch die versäumte Nutzanwend­ung auf Innstetten und Effi hinzuzudic­hten. Er selbst war mit seiner Arbeit zufrieden und hörte, gleich nach der Leseprobe, von allen Beteiligte­n viel Freundlich­es darüber, freilich mit Ausnahme seines Patronatsh­errn und alten Freundes Briest, der, als er die Mischung von Kleist und Niemeyer mit angehört hatte, lebhaft protestier­te, wenn auch keineswegs aus literarisc­hen Gründen.

»6. Fortsetzun­g folgt

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