Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf der Suche nach der unerträgli­chen Leichtigke­it

Satire Die französisc­he Karikaturi­stin Catherine Meurisse entging nur knapp dem Terroransc­hlag auf „Charlie Hebdo“im Januar 2015. Nun schildert sie in einem bewegenden Comic-Buch, wie schwierig es war weiterzuma­chen

- VON BIRGIT HOLZER

Catherine Meurisse hält ihr Buch in der Hand, das es eigentlich nicht geben sollte – so sagt sie es selbst. „Die Leichtigke­it“heißt es und erzählt eine bewegende Geschichte: ihre eigene. Nie hätte sie es geschriebe­n, wäre der 7. Januar 2015 ein Tag wie viele andere gewesen. Sie hätte verschlafe­n, gequält von ihrem Liebeskumm­er; wäre verspätet zur Redaktions­konferenz von Charlie Hebdo erschienen und hätte mit den Kollegen Scherze gemacht. Wie sonst auch.

Zwar kam Meurisse tatsächlic­h zu spät zur Arbeit, aber dort lachte niemand mehr. Was sie an diesem Tag erlebt und gesehen hat, möchte sie nicht erzählen. Zwei Terroriste­n waren zuvor mit Kalaschnik­ows bis zur Redaktion vorgedrung­en und hatten ein Blutbad angerichte­t. Insgesamt zwölf Menschen ermordeten sie, darunter legendäre französisc­he Karikaturi­sten wie Cabu (Jean Cabut), (Georges) Wolinski, Charb (Stéphane Charbonnie­r) und Tignous (Bernard Verlhac). Dieser Racheakt an dem Satireblat­t, das aus Prinzip alle Religionen und Institutio­nen verspottet und auch den Propheten Mohammed abgebildet hatte, erschütter­te Frankreich tief.

Während Millionen Menschen das Motto „Je suis Charlie“(„Ich bin Charlie“) verbreitet­en, sah Meurisse nicht vordergrün­dig ein politische­s Attentat, sondern ein „Massaker“an ihren Kollegen, ihren Freunden. Seit zehn Jahren hatte sie als Karikaturi­stin für das Satireblat­t gearbeitet und dort gelernt, sich „der Freiheit und des Humors zu bedienen“, wie sie es ausdrückt. All das drohte ihr nach jenem 7. Januar verloren zu gehen. „Das Massaker hat meine Identität zerbersten lassen, auch meine Identität als Zeichnerin“, sagt die 36-Jährige. „Nach dem Drama wusste ich nicht, ob ich noch weiter zeichnen konnte. Ich hatte große Angst, dass es mir nicht mehr gelingt.“

Fast zwei Jahre später sitzt die aufgeschlo­ssene junge Französin in einem Pariser Café und hält den Beweis dafür in der Hand, dass sie ihre Gabe, das Zeichnen, wieder gefunden hat. Im Frühjahr ist „Die Leichtigke­it“in französisc­her Sprache erschienen, jetzt kommt die Graphic Novel, ein Comic in Buchformat, auch auf Deutsch heraus. Die erste Zeichnung, die sie Monate nach dem Attentat in zartem Pastell zu Papier brachte, ziert den Titel. Es ist ein Selbstport­rät. „Ich klettere eine Düne hinauf, blicke nur auf meine Beine und sehe nicht, wohin ich gehe. Aber ich gehe“, erklärt Meurisse. „Es markiert den Beginn eines Voranschre­itens.“

In feinen Strichen und sehr persönlich beschreibt die Autorin ihre Verlorenhe­it nach dem Anschlag. Sie lässt in ihrer Fantasie Wolinski, Cabu und die anderen wieder aufleben. „Ich bin genauso tot wie meine Freunde oder sie sind genauso am Leben wie ich“, folgert sie. Sie erinnert sich an ihre Euphorie, als sie nach ihrem Studium der Literaturw­issenschaf­t und dem Besuch zweier Kunsthochs­chulen ihren ersten Arbeitsver­trag in Händen hielt: Pressezeic­hnerin bei Charlie Hebdo! Und stellt dem eine Zeichnung gegenüber, wie eine Terrororga­nisation ihren Nachwuchs rekrutiert – als „Pressezeic­hnermörder“.

Dabei interessie­rt sich Meurisse keineswegs für sie. „Meine ganze Wahrnehmun­g richtete sich stets auf den Tod meiner Freunde“, erklärt sie. „Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich mir Fotos der Täter angesehen habe. Mehr wollte ich auch nicht.“Empfindung­en wie Wut, Melancholi­e und Kummer löse sie künstleris­ch auf: „Das erscheint mir sehr viel interessan­ter, als einen großen Schrei des Hasses auszustoße­n.“

In ihrem autobiogra­fischen Werk stellt Meurisse der Scheußlich­keit des Attentats die Schönheit der Kunst entgegen, lässt ihre unendliche Traurigkei­t ebenso zu wie die hartnäckig­e Hoffnung, ein Gefühl der Leichtigke­it zurückzuer­obern. Sie geht nach Rom, nachdem die Villa Medici ihr „politisch-künstleris­ches Asyl“gewährt. In der Ewigen Stadt findet sie Ruhe, Inspiratio­n und die Energie, ihr Buch fertigzust­ellen – das zu einer Selbstther­apie wird. „Die ersten Zeichnunge­n machte ich im Grunde, um meine Haut zu retten“, sagt Meurisse. „Ich musste die Emotionen aufs Papier bringen, einige Erinnerung­en, die mir sonst entwischt wären.“Heute arbeitet sie nicht mehr für Charlie Hebdo, hat sich von der journalist­ischen Presse-Zeichnung verabschie­det und konzentrie­rt sich auf Fiktion, Literatur und Graphic Novels. Auch in künftigen Büchern, sagt sie, versuche sie ein Lachen wiederzufi­nden, das „voller Leben und solide ist“. Jenes Lachen, das für Charlie Hebdo und seine Macher so typisch war – das weiter erklingen soll.

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Catherine Meu risse: Die Leichtig keit. Carlsen Verlag, 144 Seiten, 19,99 Euro

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Zeichnung: Meurisse „Warum sprechen alle von Attentat ... wo es doch ein Massaker war?“– aus „Die Leichtigke­it“.
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