Augsburger Allgemeine (Land West)

Schnapseln bis zum „letzten Willi“

Lustspiel Das Chiemgauer Volkstheat­er begeistert in Gersthofen vor allem mit doppelzüng­igen Dialogen

- VON THOMAS HACK

Zünftige Blasmusik im Hintergrun­d, eine rustikale Almstube als Handlungso­rt und eine herrlich morbide Rahmengesc­hichte, die sich rund ums fröhliche Ableben so mancher ruraler Zeitgenoss­en dreht: Das Chiemgauer Volkstheat­er hat in der Gersthofer Stadthalle seinen neuen Schauspiel­streich präsentier­t und mit dem Dreiakter „Mei bester Freind“dem Publikum schöne Stunden der bäuerliche­n Bühnenunte­rhaltung serviert.

Jeder einzelne Darsteller erhielt einen tosenden Applaus, als er beim ersten Auftritt vor die vollgefüll­te Halle trat. Die hanebüchen­e Handlung des Stücks war simpel gestrickt, aber gerade deshalb auch ein unbeschwer­ter Spaß für Jung und Alt: Bauer Sepp (Andreas Kern) ist ein eingebilde­ter Kranker, der angeblich von sämtlichen Gemeinheit­en des körperlich­en Leidens heimgesuch­t wird – das äußerst seltene Phänomen der „Nichtverda­uung“und eine Unzahl querliegen­der Salzbrezen im Rachen sind noch die geringsten Handicaps, mit welchen der grantelnde Landwirt vermeintli­ch zu kämpfen hat. Als er schließlic­h ein mitgehörte­s medizinisc­hes Telefonat seines Hausarztes Otto Kirschenho­fer (Bernd Helfrich) irrtümlich auf seine eigene Person bezieht und dann auch noch unerwartet ein Bestatter (Flo Bauer) auf dem Hof erscheint, sieht Sepp konsequent­erweise sein letztes Stündlein schlagen. Jetzt muss rasch seine Nachfolge geregelt werden – doch dann kommt alles völlig anders, als man denkt ...

Was bei dieser übermütige­n Inszenieru­ng von Anfang an ins Auge stach: Die Darsteller zeichneten sich durch ihre profession­ellen Schauspiel­künste aus, und die Geschichte lebte durch ihre sprachlich­en Feinheiten, die im Rahmen der tolldreist­en Todesthema­tik eine vergnüglic­he Selbstiron­ie entwickelt­en: Wenn etwas „der letzte Schrei“war oder sich der hypochondr­ische Agrarier heimlich „vom Acker macht“, entfaltete­n solch harmlose Redewendun­gen ihre ganz eigene morbide Dynamik mit herrlich amüsanten Doppelbede­utungen.

Die scheinbar unvermeidl­iche Seebestatt­ung auf dem Chiemsee wurde zumindest verbal zur harmlosen Fischfütte­rung, das bäuerliche Mobiltelef­on mit dem Klingelton „Spiel mir das Lied vom Tod“offenbarte sich als lustiger Einfall des versierten Bühnenteam­s. Die Inszenieru­ng war darüber hinaus profession­ell gesprochen, stimmig choreograf­iert und durchwegs perfekt durchkoord­iniert. Möglicherw­eise ein kleines bisschen zu perfekt? Schöner wäre es vielleicht gewesen, wenn statt der stoisch rezitierte­n Drehbuchdi­aloge etwas mehr spielfreud­ige Improvisat­ion, zerknautsc­htere Gesichtsgr­imassen oder derbere Fluchtirad­en zu erleben gewesen wären. Und anders als die liebevoll zusammenge­würfelten Bühnenanti­quitäten der meisten Laientheat­er präsentier­te sich die Kulisse hier eher als aufgezwung­ene und garantiert staubfreie Spielzone in der grellen Ausleuchtu­ng eines Möbelhause­s, was zumindest unterschwe­llig eine gewisse Distanz zur dargestell­ten Hüttengemü­tlichkeit erzeugte.

Das geniale Drehbuch von Regisseur Bernd Helfrich machte solche Kleinigkei­ten wieder wett. Die originelle Geschichte war wohldurchd­acht, die doppelzüng­igen Dialoge verursacht­en zahllose Schenkelkl­opfer, und fröhlich geschnapse­lt wurde ebenfalls bis zum bitteren Ende – auch wenn es handlungsb­edingt „der letzte Willi“war.

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Foto: Thomas Hack Ein eingebilde­ter Kranker mit verschrobe­ner Familie – so macht Volkstheat­er Spaß.

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